Antonio Salieri

Tarare

Les Talens Lyriques, Ltg. Christophe Rousset

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Aparte
erschienen in: das Orchester 12/2019 , Seite 64

Das Verhältnis von Wort und Musik in der Oper beherrschte die Diskussion um die Gattung immer wieder. Namentlich durch den satirischen Einakter Prima la musica, poi le parole, mit dem Antonio Salieri 1786 in Wien den Streit spielerisch aufgriff, erhielt der alte Konflikt aktuelle Akzente.
Als Salieri den Auftrag erhielt, drei Werke für die Pariser Opéra zu schreiben, griff er 1787 (nach Les Danaïdes 1784 und Les Horaces 1786) zu einem exotischen Libretto von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, dessen vorrevolutionäre Texte bislang von anderen Librettisten wie etwa Da Ponte (für Mozarts Hochzeit des Figaro 1786) erfolgreich bearbeitet wurden und der mit Tarare zum ersten und einzigen Mal eine ganz eigene Vorlage geschrieben hatte.
Die im fiktiven Orient spielende Geschichte um den tyrannischen König Atar, der seinem Getreuen Tarare nicht nur die schöne Gattin Astasie wegnimmt, sondern ihm auch nach dem Leben trachtet, geht nach allerlei Intrigen gut aus: Tarare errettet seine Frau aus dem Serail, der Despot begeht Selbstmord und sein braver Vasall wird vom Militär als neuer König ausgerufen. Das moralische Ende mit dem Sieg der Tugend über die Gewalt war am Vorabend der Revolution von 1789 eine rebellische Botschaft.
Selbstbewusst bestand Beaumarchais auf dem Vorrang des Wortes vor der Musik – nicht eben zum Vorteil der musikalischen Konzeption. Salieri fügte sich, und so gibt es denn in dem Werk nur wenige (längere) Arien, und immer wieder schieben sich ausschweifende Rezitative und „parlé“-Passagen in den Fluss der Komposition. Manches davon hat Salieri in einer grundlegenden Überarbeitung (Axus, re d’Ormus, Wien 1788) zurückgenommen.
Was freilich von seiner Kunst Eingang in Tarare fand, ist von erlesener Güte. Der im Stile Lullys grandios gestaltete Prolog, die italienische Ouvertüre, das große Divertissement im dritten Akt, die Charakterisierung der Figuren durch instrumentale Farben, die Integration europäischer Stile in das pompöse „Fest“, das den Einzug Astasies in das Serail begleitet, und die martialischen Chöre, die zum Krieg gegen die Christen aufrufen, gehören zum Besten, was Salieri geschrieben hat.
Die Einspielung mit dem Originalklang-Ensemble Les Talens Lyriques und den Chantres du Centre de musique de Versailles bringt diese Vorzüge glänzend zum Vorschein. Christophe Rousset, der mit diesem verdienstvollen Tarare nun auch die dritte Paris-Oper des Komponisten mustergültig vorstellt, macht aus dem Werk ein beispielhaftes Hörerlebnis, das durch Farbigkeit, dramatisches Gespür und lyrische Aufschwünge besticht und zu einer neuerlichen szenischen Realisierung einlädt.
Im Ensemble gibt der vorzügliche Bassbariton Jean-Sébastien Bou dem Gewaltherrscher Atar markante Kontur, und der Tenor Cyrille Dubois stattet seinen Gegenspieler mit heldischer Noblesse aus. Auch die anderen Sänger in ihren nicht immer dankbaren Partien sichern der Aufnahme ein exzellentes Niveau.
Rüdiger Krohn