Franzpeter Messmer

Tanz auf der Brücke

Roman

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Edition Moosdiele
erschienen in: das Orchester 9/2022 , Seite 63

Der junge, syrische Pianist Mehmet Aziz ist nach einer langen Flucht vor dem Krieg in Damaskus in Deutschland gelandet. Hier, im Westen, in der Heimat seiner musikalischen Idole wie Beethoven oder Mozart, sucht er ein neues Zuhause. Er will musizieren können, ohne Angst vor Islamisten haben zu müssen, die in Syrien sein Klavier zertrümmert und seine Schwester, die Tänzerin Amal, mit einer Fatwa belegt haben.
Aber so einfach ist das Leben in Deutschland für Mehmet nicht, auch wenn er die Sprache seines Gastlandes perfekt beherrscht und mit seinem Klavierspiel bald Aufsehen erregt. Ein türkischer Obsthändler wird bei einem Bombenanschlag getötet, Mehmets bewunderter Mentor, der Dirigent Theodor Gutekunst, missbraucht seine Stellung, um eine Sängerin zu einem sexuellen Verhältnis zu zwingen, der Verfassungsschutz will Mehmet als V-Mann bei den Identitären einschleusen und Mehmets bester Freund Ahmet, der mit ihm geflohen ist, gleitet in die Salafistenszene ab.
Immer größer wird Mehmets kulturelle Verwirrung: Warum fühlt er sich von der Rechtsrockerin Ada Heil trotz ihrer Fremdenfeindlichkeit angezogen? Ist die Tänzerin Salome tatsächlich seine verloren geglaubte Schwester Amal? Und wird er zum Verräter, weil er Ahmet beim Verfassungsschutz identifiziert hat? Beim Brückenfestival, einer interkulturellen Veranstaltung, die ein Zeichen für Dialog und Miteinander setzen will, kommt es schließlich zum großen Showdown.
Der Musikwissenschaftler Franzpeter Messmer verfolgt mit seinem Roman ambitionierte Ziele: Es geht um die Suche nach der eigenen Identität, um kulturelle Gräben und Gemeinsamkeiten, um Heimatlosigkeit und die verbindende Macht der Musik – eine Macht, an der Mehmet zu zweifeln beginnt. Vielleicht kommen die Menschen nur deshalb zu seinen Konzerten, weil er als „Trümmerpianist“ aus Damaskus eine kleine Sensation ist? Hat Musik überhaupt mit Wahrheit zu tun – oder „weckt sie nur diffuse Gefühle, die jederzeit missbraucht werden können“? Zusehends verschwimmen für Mehmet die Grenzen zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch.
All das hätte das Potenzial zu einem wahrhaft großen Roman – wären da nicht die beträchtlichen literarischen Schwächen des Texts. Allzu holprig ist die Prosa, mit blassen und weitgehend nichtssagenden Figuren, hölzernen und unglaubwürdigen Dialogen und einer stellenweise beklagenswert ungeschickten Dramaturgie voller bedauerlicher Längen und zweifelhafter Szenen (wenn etwa Gutekunst direkt vor Mehmets Augen eine Sängerin vergewaltigt und Mehmet nur still und leicht verwundert zusieht).
Diese schriftstellerischen Mankos machen die Lektüre schwierig und verwischen die schöne Botschaft des Romans bis zur Unkennt­lichkeit. Und wenn Mehmet an einer Stelle darüber nachdenkt, dass Künstler, die wunderbar Musik zu machen verstehen, nicht unbedingt auch gute Menschen sein müssen, fühlt man sich versucht, hinzuzufügen: Ähnliches gilt auch für Musikwissenschaftler, die nicht notwendigerweise gute Literaten abgeben.
Irene Binal