Katharina Wagner/Holger von Berg/Marie Luise Maintz (Hg.)

Szenen-Macher

Wagner-Regie vom 19. Jahrhundert bis heute

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 01/2021 , Seite 62

Eines ist sicher, wenn man sich durch dieses äußerst lesenswerte und informative Buch durchgearbeitet hat: Inhaltlich wird eingelöst, was der Titel verspricht. Einzig die Konzeption erschließt sich mir nicht ganz. Eine akribisch aufgearbeitete Dokumentation über die Entstehung des sogenannten „Jahrhundertrings“ 1976 in Bayreuth eröffnet eine Sammlung von 17 höchst unterschiedlichen Kapiteln, abgerundet durch Anmerkungen, die Viten der beteiligten Autoren, ein Personenregister und eine tabellarische Übersicht des „Diskurs Bayreuth 2019“ mit Programmen von Zusatz(ur)aufführungen im Rahmen der Bayreuther Festspiele und des Symposions, dem das Buch seinen Titel verdankt.
Wissenschaftlich ausgerichtete Artikel wechseln sich vor allem im 2. Teil ab mit (vermutlich) redigierten Aufzeichnungen von Diskussionsrunden mit Regisseuren und teilweise auch den Autoren selbst. Während sich die Diskussionen zuweilen in subjektiv gefärbten philosophischen und politischen Statements zu konkreten Inszenierungen von dem eigentlichen Diskussionsgegenstand zu entfernen drohen, erfährt man in den Essays mit konkret umrissener historischer Thematik deutlich mehr Substanzielles.
So stehen einerseits Persönlichkeiten im Bayreuther Umfeld im Mittelpunkt wie Heinz Tietjen, Siegfried Wagner, die Festspielleiterinnen Cosima und Winifred Wagner (provokativ der Titel „Frauenzimmerpolitik?“) und die Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient, die zwar in Bayreuth nicht mehr gesungen, aber Hauptrollen in den frühen Opern unter Wagners „Regie“ bestritten hat und von Wagner später als Idealbild der dramatischen Sängerdarstellerin stilisiert wurde.
In Kai Köpps „Die Partitur führt Regie“ steht ein Stummfilm Richard Wagner im Fokus, entstanden zum 100. Geburtstag des Komponisten 1913, zu dem der junge Giuseppe Becce, in den 1930er Jahren ein bekannter Filmkomponist, die wagnerische Musik beisteuerte – Originalmusik wäre zu teuer gewesen – und überdies amateurhaft die Hauptrolle spielt. Köpp zeigt anhand bestimmter Filmszenen, als Filmstills abgebildet, wie die szenische Darstellung, stilisiert in typisierten Gesten, in Wagners Opern im späten 19. Jahrhundert wohl ausgesehen hat. Exemplarisch zeigt das ein Ausschnitt aus Tristan und Isolde aus der Sicht von König Ludwig II., der der Generalprobe zur UA in München beiwohnt. Konkret ist es die Schlüsselszene im 1. Akt, als die Protagonisten den Liebestrank als vermeintlichen Todestrank zu sich nehmen. Dauert die Szene in der Oper ca. 5 Minuten, so ist es im Film gerade mal eine.
Bleibt noch der Schlussartikel „Auf dem Weg zum neuen Musikdrama“ von Christoph Meier. Meier findet, ja entlarvt geradezu die szenischen wie bildlichen, wohlgemerkt nicht musikalischen Vorbilder als „Stilbildungsschule Wagners“, angefangen bei Beethovens Egmont, über Le Prophète von Meyerbeer (ein Komponist, den Wagner ja bekanntermaßen hasste), La Dame Blanche von Boieldieu bis hin zu Jessonda von Spohr und Aubers Die Stumme von Portici.
Kay Westermann