Zygmunt Stojowski

Symphony op. 21/Suite for Orchestra op. 9

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Ltg. Antoni Wit

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Capriccio
erschienen in: das Orchester 11/2022 , Seite 66

Kein Erwählter und kein Verfolgter, weder Herold des Neuen noch (um mit Mahler zu sprechen) Anbeter der Asche, fiel Zygmunt Stojowski durch die Maschen der jüngeren Musikgeschichtsschreibung. Ging es ihm doch einzig um die Weitergabe des sinfonischen Feuers, das von Berlioz auf Liszt, Tschaikowsky, Rimski-Korsakow, Brahms, Dvořák und Mahler übergesprungen war.
1870 wahrscheinlich in der Nähe von Kielce geboren und 1946 in New York gestorben, gilt Stojowski in Polen als Schüler des Krakauer Komponisten Władysław Żelénski und des komponierenden Konzertpianisten Ignacy Jan Paderewski, dessen universale Persönlichkeit als Tonkünstler, Pädagoge, politischer Freiheitskämpfer, Mäzen und Philanthrop ihn nachhaltig prägte.
Seiner polnischen Heimat, die er 1905 – einem Ruf des neugegründeten Institute of Musical Art (heute Juilliard School) folgend – dauerhaft mit den USA vertauschte, blieb Stojowski innerlich zutiefst verbunden. Zumal während der beiden Weltkriege, deren Schrecken er in Amerika entging, wo er als Pianist, Komponist und Hochschullehrer wachsende Reputation genoss.
Kaum 21 Jahre alt, schrieb er sich mit der Suite für Orchester Es-Dur op. 9, „Hommage à Hans von Bülow“ übertitelt, in die Spitzenklasse der damaligen Orchesterwelt ein. Der betagte Dirigent, damals Chef der Berliner Philharmoniker, ließ sie alsbald in Berlin und Hamburg hören. Ihre drei Sätze schöpfen aus polnischen Quellen. Die Variationen des Kopfsatzes entspringen einem Marienhymnus aus dem Krakauer Kirchenliederbuch von 1838. Das „Intermède polonais“ bewegt sich im Tempo und Rhythmus einer Mazurka, während die abschließende „Rêverie et Cracovienne“ aus dem zwiefachen Wechsel der Charaktere Funken schlägt. In seinen „Erinnerungen an Brahms“ (1933) zitiert Stojowski diesen mit dem Ausruf: „Donnerwetter! Sie ins­trumentieren aber raffiniert!“ Das Lob galt eben dieser Orchestersuite.
Die Sinfonie d-Moll op. 21 reichte er 1898 beim Leipziger Paderewski-Wettbewerb ein, dessen Jury sie unter dem Vorsitz von Arthur Nikisch mit dem Höchstpreis bedachte. Sie bezeugt melodischen Einfallsreichtum und Beziehungszauber und bestätigt im übrigen Brahms’ Urteil. Von endzeitlichen Vorahnungen an der Schwelle zum Jahrhundert zweier Weltkriege bleiben ihre vier Sätze unbehelligt. Anfängliche Dunkelheiten (langsame Einleitung) wandeln sich zu lichtvollen Aufschwüngen. Das Andante ist eine träumerische Nachtmusik, die nach gelinden Verstörungen friedvoll endet. Spukhaft wirbelt das Scherzo vorüber wie Erlkönigs Töchter am düstern Ort. Das finale Allegro con fuoco weist in Rhythmik und Melodik polnische Züge auf und endet hymnisch.
Mit Antoni Wit, dem unermüdlichen Schatzgräber und Mittler polnischer Musikkultur, hat sich die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz einen wahrhaft ­berufenen Dirigenten erwählt.
Lutz Lesle