Anton Bruckner
Symphony Nr. 4
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Bernard Haitink
Zwei Jahre nach dem Tod des vermeintlich Leisen unter den ganz Großen der Dirigentenzunft erscheinen immer neue Aufnahmen und gesellen sich damit zu einer riesigen Menge weiterer Einspielungen, die Bernard Haitink (1929–2021) im Laufe seines langen Wirkens als Dirigent angeleitet hat. Als Chefdirigent stand der Holländer über Jahrzehnte an der Spitze des Royal Concertgebouw Orchestra in Amsterdam und des London Philharmonic Orchestra. Als Gastdirigent war er so gut wie jedem großen Orchester der Welt verbunden. Dazu gehört auch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, mit dem Haitink bereits Anfang 2012 Bruckners vierte Sinfonie aufgeführt hat. Da war der Maestro bereits 83 Jahre alt. Elf Jahre später ist das Ergebnis nun auf CD erschienen.
Prägend für den Menschen Haitink ist die Abneigung gegenüber Allüren und Selbstinszenierung. Er arbeitete präzise und fordernd, blieb dabei – nach dem Bekunden von Musikern – freundlich und verbindlich, hatte zugleich keine Furcht, sich mit Stars und Intendanten anzulegen. „Ehrlich gesagt, ich kann mir meinen Erfolg auch nicht erklären. Ich sage nicht viel, doziere nicht. Oft denke ich: Die haben nicht viel von mir“, bekannte er. Selbstverständlich war genau das Gegenteil der Fall. Seine Energie bis ins hohe Alter und seine Aura müssen außerordentlich gewesen sein. Beides ging einher mit einer unerhörten Gelassenheit, die seine Aufführungen der großen romantischen Klassiker – Bruckner, Mahler, Brahms – zu Sternstunden machten, so auch bei dieser vierten Bruckner-Sinfonie, die er mit verschiedenen Orchestern aufgenommen hat.
Wie so oft kehrt Haitink auch hier nie die Zerrissenheit des Werks hervor, spürt ihm jedoch nach bis zum tiefsten Grund, lässt die Melodien atmen, macht das Dichte transparent. Würdevoll ist sein Bruckner, aber nie pathetisch (soweit das bei Bruckner vermeidbar ist). Blech und Holz spielen warm auf, seidig klingen die Streicher, biegsam pulsiert das Bassfundament, zum Beispiel in der Schlusssteigerung des ersten Satzes.
Vom ersten, wispernden Einsatz der Streicher an mit dem baldigen Einsatz des Solohorns hat man den Eindruck, einer Feier des Augenblicks beizuwohnen. Zwar steht die Musik nie und wird auch nicht zerdehnt, doch sie lebt für den Moment, ist stets im Reinen mit sich, strahlt Ruhe und Größe aus. Eine deutlichere Entwicklung ist im langsamen Satz zu bemerken, der beinahe schüchtern anhebt und Zweifel artikuliert, erst allmählich zur Selbstgewissheit findet. Das berühmte Scherzo ist eine flinke Jagd mit leichten Waffen und ohne Panzer. Der Schlussabschnitt endet im ungetrübten Grandioso, das Haitink, wie ein Jubel nach langem Ringen, dann auch einfach zulassen kann.
Johannes Killyen