Bruckner, Anton

Symphony Nr. 3 (1877 and 1889 versions)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naxos 8.555928-29, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 10/2004 , Seite 83

Sich zum Thema Bruckner-Aufnahmen etwas Neues einfallen zu lassen, das ist zweifellos eine höhere Aufgabe. Johannes Wildner und seine Neue Philharmonie Westfalen – entstanden 1996 aus dem Philharmonischen Orchester Recklinghausen und dem Opernorchester Gelsenkirchen – haben sich ihr auf bemerkenswerte Weise gestellt: Nach einer rekonstruierten Fassung der kompletten neunten Sinfonie hat das Ensemble sich die dritte vorgenommen, deren Schwierigkeit bereits in der Entscheidung für eine der drei Fassungen liegt.
Wildner und sein Orchester jedoch haben aus der Not eine Tugend gemacht und einfach alle drei Versionen eingespielt, mitsamt dem Adagio von 1876. Mit dem Label Sonarte ließ sich die überregionale Aufmerksamkeit, die sicherlich Ziel der Bemühungen war, offenbar nur schwer erreichen, weshalb beim Niedrigpreis-Anbieter Naxos nun eine abgespeckte Ausgabe der Dreier-Box erschienen ist: die zweite (1877) und die dritte Fassung (1889), ganz international gespielt vom New Philharmonic Orchestra of Westphalia.
Neben dem Reiz eines Neben-
einander der verschiedenen Fassungen, über die schon viel geschrieben worden ist (auch Benjamin-Gunnar Cohrs zerlegt im Booklet mit philologischer Gewandtheit die Partitur), erscheinen zwei ganz andere Dinge wesentlich. Zum einen das Revolutionäre dieser dritten Sinfonie, nach deren Uraufführung Eduard Hanslick geiferte: Hier erfahre man „wie Beethovens 9. mit Wagners Walküre Freundschaft schließt und endlich unter die Hufe ihrer Pferde gerät“. Warum diese Missgunst, warum der Misserfolg? Matthias Hansen hat überzeugend dargelegt, dass in dieser Dritten die „epischen Dimensionen der Bruckner’schen Variantentechnik voll ausgeschöpft“ werden. Der Sinfonie eigen ist ein permanenter Überleitungscharakter, eine ständige Veränderung des Materials, das nur noch zum Schein durch einen Sonatensatz geordnet wird.
Ebenfalls bemerkenswert an dieser Aufnahme ist die solide Qualität, die einem Ensemble wie der Neuen Philharmonie Westfalen nicht ohne weiteres zuzutrauen war. Gewiss: Die Holzbläser sind manchmal etwas unterbelichtet, manche Ritardandi dehnt Wildner ins Unendliche, den dritten Sätzen hingegen fehlt das Misterioso, die ländliche Seele. Andererseits versteht der Österreicher es, Bögen zu spannen, Höhepunkte vorzubereiten und den Satz transparent und straff zu gestalten. Ein hervorragender, nur selten plärrender Blechsatz steht ihm dabei zur Seite.
 
Johannes Killyen