Anton Bruckner
Symphony No. 9
Tonhalle-Orchester Zürich, Ltg. Paavo Järvi
Noch rechtzeitig zum vergangenen Jubiläumsjahr von Anton Bruckner erschien diese neue CD mit seiner letzten Komposition, der Sinfonie Nr. 9 d-Moll WAB 109. Sie hat nur drei Sätze, die aber auch schon gut eine Stunde dauern. Der Komponist begann die Arbeit daran 1887, vollendete den langsamen dritten Satz 1894, brach dann aber die Arbeit an einem finalen vierten Satz ab, weil er wusste, dass er unheilbar krank war – er starb 1896. Nun rahmen zwei spirituell vertiefte Sätze ein teuflisch-materialistisches Scherzo. Die musikalische Sprache wirkt insgesamt kantiger, ja schroffer als man es von Bruckner gewohnt ist, das Scherzo scheint geradezu in einen Abgrund zu schauen. Im abschließenden Adagio nimmt der Komponist „Abschied vom Leben“, indem er erstmals aus eigenen Werken zitiert, nämlich aus dem „Miserere“ der Messe Nr. 1 d-Moll sowie am Schluss aus dem langsamen Satz der achten und schließlich aus dem Anfangsthema der siebten Sinfonie. Auch dem von ihm verehrten „Meister“ Richard Wagner huldigte Bruckner hier ein letztes Mal, denn im langsamen Satz wechselt das fünfte bis achte Horn jeweils zur Wagner-Tuba, also dem von Wagner eigens für den Ring des Nibelungen entworfenen und noch weicher klingenden Instrument.
Die Rezeption der Sinfonien von Bruckner in der Schweiz ist eng verbunden mit der Geschichte der Tonhalle-Gesellschaft Zürich. 1903 dirigierte Richard Strauss bei einem Gastspiel des Berliner Tonkünstler-Orchesters in der Tonhalle die erste Aufführung einer Bruckner-Sinfonie in der Eidgenossenschaft, nämlich der Dritten. Kurz darauf leitete Volkmar Andreae als damaliger Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich wichtige Darbietungen weiterer Werke dieses Komponisten, darunter 1907 die Zürcher Erstaufführung der Neunten. Nach 1950 haben sich bedeutende Chef- und Gastdirigenten wie Bruno Walter, Herbert Blomstedt und Kent Nagano dem Werk gewidmet – nun also der aktuelle Chef Paavo Järvi.
Die Erwartungen sind also hoch, wenn dieses Orchester aus der Schweiz unter der Leitung seines Chefdirigenten aus Estland das speziellste Werk dieses Komponisten aus Österreich einspielt. Aber leider fehlt es der neuen Aufnahme weitgehend an Prägnanz und Tiefenschärfe, auch an Rhetorik und letztlich an Klangschönheit. Das mag auch an der eher stumpfen Aufnahmetechnik liegen, vielleicht außerdem an der Akustik des Hauses (die mir persönlich nicht aus eigener Erfahrung bekannt ist). Zumindest im Kopfsatz häufen sich zudem die falschen Betonungen; in Takt 400 ff. erklingt sogar der (in Triolen) notierte Sechsvierteltakt als Dreihalbetakt.
Ingo Hoddick