Symphony No. 9

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Mit seiner Sinfonia N. 9 erweist Hans Werner Henze Ludwig van Beethoven auf ganz eigene Weise seine Reverenz. Nach dem rein instrumentalen Requiem (1990-1992), untertitelt “Neun geistliche Konzerte”, ist die neunte Sinfonie (1996/97) durchgängig für gemischten Chor und Orchester gesetzt. Mit dem Werk thematisiert Henze erstmals in seiner kompositorischen Karriere explizit die Zeit der Nazi-Diktatur und damit auch die Zeit seiner eigenen Jugend. Wenigstens elf Jahre dauerte die Genese des Werks bis zur Fertigstellung und Uraufführung in der Berliner Philharmonie am 11. September 1997 im Rahmen der Berliner Festwochen, die das Werk in Auftrag gegeben hatten. 1998 legte EMI den Uraufführungsmitschnitt vor, mit den Berliner Philharmonikern und dem Rundfunkchor Berlin unter der Leitung Ingo Metzmachers.
Ein wesentliches Dokument (wenn auch mit teilweise hochproblematischer klangtechnischer Komponente), dem nun, rund zehn Jahre später, die erste Studioproduktion folgt, wie zu erwarten eine Produktion von höchster Qualität. Den Text des siebensätzigen Werks, dessen Struktur sich aus der Inspirationsquelle der Komposition, Anna Seghers’ Roman Das siebte Kreuz, ableitet, erarbeitete Hans Ulrich Treichel, nicht wörtlich auf den Roman Bezug nehmend, ihn vielmehr konzentrierend und überhöhend.
Henzes ehemaliger Schüler Jan Müller-Wieland nannte die Sinfonia N. 9 Henzes “Deutschland-Sinfonie”, und vielleicht ist sie es auf ihre Weise ebenso wie die auf Hölderlin aufbauende siebte Sinfonie (vgl. das Orchester 1/09, S. 70). Henze bezeichnete das, was in ihr geschieht, als “eine Apotheose des Schrecklichen und Schmerzlichen. Sie ist eine Summa summarum meines Schaffens, eine Abrechnung mit einer willkürlichen, unberechenbaren, uns überfallenden Welt.”
Ein direkter Vergleich zwischen Uraufführungsmitschnitt und Studioproduktion erweist eins unmittelbar – wo der Uraufführungsmitschnitt ein historisches Dokument ist, ist Marek Janowskis Studioproduktion ein Klangdokument, das die Musik unmittelbar wirken lässt, in exzellenter Aufnahmetechnik und ebensolcher Interpretation. Von Anbeginn an erweist sich Henzes ungebrochene Kreativität – raffinierteste Klangeffekte, evokative Chorausbrüche, beeindruckende Steigerungen und lyrische Linien vereinen sich zu einem äußerst bewegenden Erlebnis.
Der Berliner Rundfunkchor ist mit dem Werk zutiefst vertraut, er sang bereits die Uraufführung (sieben der zwölf Chorsolisten sind identisch), doch weit mehr noch als in der Uraufführung ist in der Studioproduktion die Wortverständlichkeit gewährleistet. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) hat sich unter Janowski längst zu einem der höchstrangigen Berliner Orchester entwickelt und Marek Janowski waltet über die umfangreichen Kräfte voller Sorgfalt, Inspiration und Liebe dem Werk gegenüber. Eine Referenzeinspielung.
Jürgen Schaarwächter