Anton Bruckner
Symphony No. 8
Wiener Philharmoniker, Ltg. Christian Thielemann
Christian Thielemann gilt als einer der großen Bruckner-Dirigenten unserer Zeit. An seinen Interpretationen mit den Berliner, Wiener und Münchner Philharmonikern, also den renommiertesten Orchestern der Welt, aber auch mit der Staatskapelle Dresden, kommt niemand vorbei, ob man sie mag oder nicht. Thielemann hat einen eigenen Bruckner-Stil entwickelt und perfektioniert und dabei seinen Lehrmeister Herbert von Karajan deutlich hinter sich gelassen. Eindrucksvoller Beleg dafür ist die jüngste Aufnahme der längsten, der achten Bruckner-Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern im Wiener Musikvereinssaal aus dem Frühjahr 2020.
Thielemanns Bruckner-Lesart ist ein Akt der Verzauberung, Erhebung und Betörung. Keine Schroffheit oder Unausgewogenheit soll stören. Die für ihre Zeit ungeheuren harmonischen Kühnheiten, Brüche, Klippen, Löcher, Spalten und Risse werden beinahe unmerklich geschlossen durch eine Kunst des feinsten Übergangs. Jedes Ritardando wird samtweich abgefedert, jeder erreichte Höhepunkt sofort volltönig abgerundet. Ein Satz nach dem anderen wird als Hochamt des feierlichen Mischklangs zelebriert. Beinahe ist man überrascht, wenn es im langsamen Satz der Achten – gleichsam als Höhepunkt eines endlosen Orgasmus – doch noch zum eruptiven Ausbruch kommt. Die Musik ist hier im ewigen Fluss, stets in Bewegung und doch der Magie des Augenblicks verhaftet.
Anton Bruckners achte Sinfonie wurde nach dreijähriger Arbeit Mitte 1887, abgeschlossen, jedoch erst in ihrer zweiten Fassung 1892 – mit großem Erfolg – in Wien uraufgeführt. Hier zu hören ist allerdings eine Mischfassung aus erster und zweiter Fassung, die von Robert Haas publiziert wurde. Bruckner selbst hatte in seiner zweiten Fassung durch Hinzunahme weiterer Holzbläser, der Wagner-Tuben in allen Sätzen und einer Harfe einiges zur Verfeinerung des Klangs beigetragen. Die Dramaturgie hatte er auf einen finalen Höhepunkt hin fokussiert.
Auf der anderen Seite wird die Achte ob ihrer Länge, düster-pathetischen Stimmung (gleich im schicksalsträchtigen Kopfthema des ersten Satzes) und nachgerade militärischen Aufladung (Scherzo) nicht zu Unrecht als Monstrum bezeichnet. Es entspricht Thielemanns Eigenart, diesem Monster gleichsam die Zähne abzuschleifen oder gar zu ziehen, um es in gefahrloser Erhabenheit auszustellen.
Die Perfektion, mit der das passiert, ist freilich atemberaubend und setzt einen Partner wie die Wiener Philharmoniker voraus, die auf einer ungeheuren qualitativen Höhe agieren. Es ist zugleich nicht richtig zu behaupten (wie mehrfach im Zusammenhang mit dieser Aufnahme geschehen), die Wiener wären für Thielemanns Ansatz das ideale Orchester. Sie sind ein unvergleichliches Orchester, das gerade deshalb aber auch einen ganz anderen, transparenten, pointierten Bruckner spielen kann, was die Aufnahmen mit Nikolaus Harnoncourt deutlich machen. Und wer hören will, wie präzise und klar, dabei keineswegs blutleer man Bruckners Themen in der Achten auch gestalten kann, sollte sich die Aufnahme von Günter Wand mit den Münchner Philharmonikern anhören.
Johannes Killyen