Bruckner, Anton

Symphony No. 6

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classic CD 93.219
erschienen in: das Orchester 01/2009 , Seite 67

Das von Roger Norrington gepflegte vibratolose Spiel auf modernem Instrumentarium seines Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR ist inzwischen als „Stuttgart Sound“ ein weltweiter Begriff. Unumstritten ist er nicht, wobei die musikalischen Ergebnisse, die in zahlreichen Aufnahmen bei Hänssler Classic vorliegen, bei Beethoven, Mendelssohn Bartholdy oder Schumann doch weitgehend überzeugen. Inzwischen hat Norrington sich verstärkt der Sinfonien Anton Bruckners angenommen, zuletzt der 6. Sinfonie A-Dur.
Die im lesenswerten Booklet angeführten kleinen Fehler, die nach Vergleich von Manuskript und gedruckter Partitur eliminiert werden konnten, fallen nicht hörbar ins Gewicht. Die Wahl der Sitzordnung der Wiener Philharmoniker zur Zeit der Uraufführung der beiden Mittelsätze der A-Dur-Sinfonie, der ersten Komposition Bruckners, die auf dem Programm eines offiziellen Konzerts des Orchesters auftauchte, überzeugt: Die Gegenüberstellung von ersten und zweiten Geigen fördert die Transparenz des musikalischen Geschehens, die von Norrington zudem durch das vibratolose Spiel eingefordert wird. Die überzeugende Aufnahmetechnik des Mitschnitts vom Juli 2007 aus der Stuttgarter Liederhalle unterstützt diese Tendenz zudem.
Norringtons erklärtes Ziel ist es, gegen die Missdeutung der Sinfonien Bruckners als „sakrale Werke“ anzugehen. Beherzt wendet sich Norrington gegen die Tendenz zu breiten Tempi, zu Verschleppungen oder ungebremster Agogik, die das „Weihevolle“ der Musik unterstreichen sollen. Gegen diese falschen Traditionen anzugehen, die nicht auf der Intention von Bruckner, sondern von Dirigenten wie Franz Schalk basieren, ist aller Ehren wert. Dank einer geschickten Dramaturgie werden so in der Sechsten Einzelheiten hörbar, die sonst im breiten Malstrom der Musik unterzugehen drohen.
Problematisch wird Norringtons Konzeption, wenn er den Zusammenhalt des Kopfsatzes einzelnen Episoden zu opfern droht. Für großräumige Entwicklungen, die die Musik Bruckners prägen, fehlt ihm manchmal der benötigte Überblick. Der wunderbar abgetönte Streicherklang im Adagio hingegen ist ein Plädoyer für den „reinen“ Ton, den der Dirigent und sein Stuttgarter Orchester verinnerlicht haben. Hier entgeht die Aufführung der Gefahr, nur Stückwerk zu liefern. Dem Scherzo mangelt es etwas an rhythmischem Nachdruck und Größe.
Neben dem von einigen wackeligen Einsätzen beeinträchtigten Kopfsatz ist das Finale in Norringtons Sicht der problematischste Satz dieser Einspielung. Sein allzu forsch gewähltes Tempo (es ist nur „bewegt, doch nicht zu schnell“ vorgeschrieben) verstärkt den Eindruck der Oberflächlichkeit. Dafür werden Einzelheiten konturenscharf umgesetzt. Aber Probleme des Dirigenten, den Satz in seiner Rätselhaftigkeit unter einen verbindenden Bogen zu stellen, können durch die Transparenz des Musizierens und das Modellieren von Einzelheiten nicht ganz ausgeglichen werden. Neben Modellinterpretationen von Günter Wand, Sergiu Celibidache oder Stanislaw Skrowaczewski kann Norringtons Sicht trotz vieler beeindruckender Detaillösungen doch nur eine, aber sehr willkommene, Ergänzung sein.
Walter Schneckenburger