Gustav Mahler

Symphony No. 6

Essener Philharmoniker, Ltg. Tomáš Netopil

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics OC 1716, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 09/2020 , Seite 91

Eine Einspielung der 6. Sinfonie von Gustav Mahler mit der Essener Philharmonie ist ein Ausflug in die Geschichte des Orchesters, genauer: in seine frühen Kinderjahre. 1899 war das Orchester in der Industriestadt gegründet worden. 1904 wurde der Saalbau als neuer Konzertsaal unter Leitung von Richard Strauss eingeweiht. Und bereits 1906, zum 42. Deutschen Tonkünstlerfestival, konnte hier die Uraufführung von Mahlers sechster Sinfonie stattfinden. Die Kräfte des Orchesters reichten für das Mammutwerk nicht aus, es wurden Musiker aus Utrecht hinzugebeten. So konnte die Premiere unter Leitung des Komponisten gelingen. Mahler schrieb nach der ersten Probe an seine Frau: „Orchester hält sich famos und klingen tut alles, wie ich es wünschen kann.“
Nun liegt also, aufgenommen 2019, auch eine Einspielung der Sinfonie mit der Essener Philharmonie vor, geleitet von ihrem seit 2013 amtierenden Generalmusikdirektor Tomáš Netopil. Auch hier hält sich das Orchester sehr ordentlich und ist Herr über die gewaltige Partitur. Dennoch ist die Aufnahme eine Enttäuschung, weil sie den Mehrwert, den man erwarten darf, nicht bietet. Dass der diskografische Wert einer weiteren CD mit Mahlers Sechster überschaubar sein würde, muss in Essen von vorneherein klar gewesen sein. Also hätte es gegolten, den „Heimvorteil“ auszunutzen, sprich: die Geschichte der Uraufführung wenigstens im Booklet, am besten aber zeitgemäß multimedial, aus Essener Sicht mit Insider- Informationen, zu erzählen. Nichts davon ist zu merken.
Der von Chefdramaturg Christian Schröder verfasste Text des Beihefts hebt hauptsächlich auf die Kompositionsgeschichte und auf musikalische Fakten ab, die sattsam bekannt sind: Mahler schrieb die tragische Sechste in der glücklichsten Zeit seines Lebens, was seine Frau Alma völlig aus der Fassung brachte – zumal die Schicksalsschläge kurz danach folgten. Was die Uraufführung am 27. Mai 1906 selbst angeht, so wird nicht einmal das Tonkünstlerfest als Aufführungsrahmen genannt. Weitere aufgeführte Fakten zum Konzert stehen ähnlich in Jens Malte Fischers Mahler-Biografie.
Doch wie konnte es tatsächlich dazu kommen, dass ein so junges Orchester ein so großes Werk aufführen sollte? Wie war die Resonanz in der Presse? „Krupp macht nur Kanonen, Mahler nur Sinfonien“, schrieb ein Kritiker (auch dieser Hinweis fehlt bei Schröder). Wer hatte Geld zum Konzert gegeben? Schließlich hätte man gerne etwas über die Mahler-Aufführungsgeschichte der Essener erfahren – wann die Sechste früher schon gespielt wurde und ob es noch weitere Aufnahmen gibt.
Die Musik wird ordentlich, genau und meist ohne große agogische Extravaganzen gespielt, wobei die Aufnahme unter einem indirekten Klangbild leidet. Davon sind hauptsächlich die wichtigen Hörner und Trompeten betroffen. Etwas dünn klingt das Solohorn, schön gelingt das Retardieren im Scherzo. und im Finale gibt es einige überraschende Tempoeffekte. Vielleicht lassen sich zur Produktion noch lokale Fakten beisteuern. In ihrer jetzigen Form ist sie eine verschenkte Chance.

Johannes Killyen