Prokofiev, Sergei

Symphony No. 5 / Scythian Suite

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Ltg. Tugan Sokhiev

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical 88875185152
erschienen in: das Orchester 10/2016 , Seite 68

Es erstaunt ein wenig, dass ausgerechnet die Sinfonien des großen Orchesterzauberers Prokofjew bis heute nicht den Anklang gefunden haben, dessen sich seine Ballette und seine Solokonzerte fast ausnahmslos erfreuen dürfen. Von den insgesamt sieben Sinfonien hat nur die erste, die Symphonie classique eingeschlagen, die fünfte zumindest überlebt. Wobei man, um der Wahrheit die Ehre zu geben, festhalten muss, dass die sinfonischen Geschwister der Fünften eher nicht unter die größten Meisterwerke der Orchestermusik zu rechnen sind.
Die beiden auf dieser CD zusammengestellten Werke haben eines gemeinsam: Die Orchester können sich in dynamischer Hinsicht so recht austoben, und die bedauernswerten Musiker vor dem Blech und dem Schlagwerk sind gut beraten, ihre Ohren zu schützen. Trotz einer gewissen Überdosis an Pathos zeigt sich der Komponist in dieser Sinfonie technisch auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Er kann indes – in allen vier Sätzen – seine Hingewandtheit zu Theater und Tanz nicht verleugnen: Eigenschaften, die der charismatische Tugan Sokhiev mit dem immer wieder phänomenalen Deutschen Symphonie-Orchester in besonderer Weise herauszustreichen versteht. Das gilt vor allem für den tenebren ersten Satz (in dem der Komponist einige deutliche Anklänge an seine Romeo und Julia-Ballettmusik nicht verleugnen kann), dem die Berliner mit scharfem, glashartem Streicherklang die ihm gebührende Dramatik mit auf den Weg geben. Den bewegten zweiten Satz nimmt Sokhiev mit geradezu ausgelassener tänzerischer Leichtigkeit, erzielt dann aber die größte emotionale Wirkung im ausladenden Adagio des dritten Satzes mit einem durch und durch ergreifenden, berührenden Orchesterklang. Der Finalsatz mit der Bezeichnung Allegro giocoso überrascht in seinem Beginn mit einer an dieser Stelle nicht erwarteten, gewissen Verträumtheit, die ihm aber gut zu Gesicht steht, bevor Sokhiev machtvoll die ungebändigten Klangkaskaden über die Hörer hereinbrechen lässt.
In der Skythischen Suite, angelegt als eine Antwort auf Strawinskys zwar polarisierende, gleichwohl jedoch erfolgreiche Ballettmusik Le sacre du printemps, geht es so richtig zur Sache, und so gesehen ist sie das ideale Begleitstück zur fünften Sinfonie. Sokhiev lässt die Suite über die skythischen Sagenfiguren Ala und Lolly sich adäquat in all ihrer Urwüchsigkeit und finsteren Jenseitsgerichtetheit austoben. Von den qualvollen Schreien des ersten Satzes über die dem Jazz (den es in dieser Weise im Entstehungsjahr 1916 noch nicht gab!) entlehnt schei­nenden Synkopen leitet Sokhiev sein Orchester mit meisterhafter Präzision und Einfühlung.
Die Anzahl der Einspielungen von fünfter Sinfonie und Skythischer Suite ist überschaubar. Tugan Sokhievs Version ist eine der empfehlenswertesten.
Friedemann Kluge