Mahler, Gustav

Symphony no. 5 in C sharp minor / Kindertotenlieder

Brigitte Fassbaender (Mezzosopran), NDR Sinfonieorchester, Ltg. Klaus Tennsted

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Profil/Edition Günter Hänssler PH 13058
erschienen in: das Orchester 09/2015 , Seite 79

Der 1926 in Merseburg geborene und 1998 in Kiel gestorbene Dirigent Klaus Tennstedt hat sich nicht zuletzt als Mahler-Interpret einen Namen gemacht und gehört zu Riege der Maestri, die alle Sinfonien des Komponisten auf Tonträger eingespielt haben. Diese Aufnahmen entstanden vor allem in London in Tennstedts Zeit als Chefdirigent des London Philharmonic Orchestras Mitte der 1980er Jahre. Zuvor hatte Tennstedt kurze Zeit diese Position beim NDR Sinfonieorchester inne, wo er 1979 mit großen Erwartungen sein Amt antrat. Schon nach zwei Jahren legte er allerdings 1981 unter unglücklichen Umständen die Leitung des Orchesters während einer Tournee nieder. Für ihn sprang übrigens Kirill Kondraschin ein, der wenige Stunden nach einem Konzert mit Mahlers Erster in Amsterdam starb.
Es gibt deshalb nicht viele Aufnahmen aus der Hamburger Zeit Tennstedts. Die bekannteste ist wohl die Einspielung des Beethoven’schen Violinkonzerts mit dem Solisten Nigel Kennedy, die viel verkauft wurde. Erfreulich ist deshalb die vorliegende Doppel-CD, die zwei Mahler-Aufnahmen des NDR bringt, die während Konzerten in Hamburg und Kiel für den Rundfunk gemacht wurden. Es sind offensichtlich Mitschnitte jeweils nur eines Konzerts mit allen damit verbundenen Unwägbarkeiten, aber eben auch der Vermittlung der besonderen Atmosphäre des Augenblicks. In beiden Fällen wurden überaus eindrucksvolle Wiedergaben dokumentiert, die auch nach 35 Jahren beim Hören belegen, dass Klaus Tennstedt gewiss ein extremer, aber eben auch ein  außerordentlich eindringlicher Mahler-Dirigent war.
Die Aufnahme der Fünften vom 19. Mai 1980 aus der Hamburger Laeiszhalle kann gegenüber der mit dem London Philharmonic vom 13. Dezember 1988 allemal bestehen. Tennstedt steht für einen Mahler von unbedingtem Ausdruck, bei dem jedes Motiv plastisch ausgearbeitet ist und jede Geste mit Leidenschaft erfüllt wird. Faszinierend sind die Tiefenschärfe des Klangs und die Entfaltung der kontrapunktischen Struktur des Satzes. Ein Ereignis ist aber auch die Weite der Anlage und damit verbunden die gleichsam universelle Sicht auf diese Sinfonie. Tennstedt gehört, das wird auch hier deutlich, zu den Mahler-Dirigenten mit den breitesten Tempi und der facettenreichsten Agogik, hier in Hamburg noch mehr als später in London. Doch manieriert und überzeichnet wirkt sein Mahler keineswegs, eher tiefernst und sehr existenziell. Auch das breit genommene Adagietto ist nicht larmoyant, sondern erscheint erhaben schön und in großem Bogen sich ausbreitend. Tennstedt macht den Wechsel der Stimmung in dieser Sinfonie, den er zu Recht im zentralen Scherzo verortet, so evident wie wenige seiner Kollegen.
Die Kindertotenlieder, aufgenommen am 11. November 1980 im Kieler Schloss, erklingen ebenfalls getragen in der Bewegung, aber sehr nachbohrend im Ausdruck und anrührend in der Stimmung. Brigitte Fassbaender, eine der großen Mahler-Sängerinnen des 20. Jahrhunderts, ist hier eine idealtypische Interpretin von vorbildlicher Klarheit in der Diktion und
bewegender Innigkeit im Ton.
Karl Georg Berg

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