Dmitri Schostakowitsch
Symphony No. 5
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, Ltg. Andrey Boreyko
Eine Schostakowitsch-Sinfonie pur – braucht es mehr? Nach bereits sechs auf CD erschienenen Sinfonien des russisch-sowjetischen Komponisten ließen Andrey Boreyko und das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR wiederum beim Label Hänssler Classic nun die berühmte Fünfte folgen. Aufgenommen wurde sie schon im Sommer 2011, doch erst jetzt ist sie erschienen. Schostakowitsch komponierte sie bekanntlich 1937 nach dem viel zitierten Prawda-Artikel „Chaos statt Musik“, mit welcher er die politische Führung wegen der scheinbar „berechtigten Kritik“ an seiner Oper Lady Macbeth von Mzensk beschwichtigte.
Mehr als 50 Minuten Musik zwischen romantischer Beschaulichkeit, groteskem Militarismus, rustikalem Tanz und plakativem Siegesjubel. Mit Spannung verfolgt man im Kopfsatz, wie Boreyko akkurat die Tempoanweisungen umsetzt. Indes wirkt der eher zaghafte Beginn mit den abgesetzten Auftakten im Gegensatz zu dem nach vorne drängenden und mitreißenden Kopfsatz beispielsweise von Kyrill Kondraschin mit dem Moskauer Philharmonischen Orchester merkwürdig statisch und blass. Das Gefühl, nicht vorwärts zu kommen, wird zudem verstärkt durch eine beinahe unmerkliche Verlangsamung des Tempos, gerade zu Beginn, aber nicht nur dort allein. Schon auch die Länge von mehr als 17 Minuten im Gegensatz zu den 13 Minuten und 40 Sekunden bei Kondraschin deutet auf eine gewisse Weitläufigkeit hin, obwohl dieser genau genommen die Tempi zu schnell nahm. Dennoch wirkt so der Kopfsatz überzeugender.
In den folgenden Sätzen gibt es in dieser Hinsicht immerhin gewisse Übereinstimmungen, obwohl sich insbesondere im Finalsatz auch Boreyko erstaunlicherweise nicht mehr an die notierten Tempovorgaben hält, sondern manche Abschnitte sogar noch schneller dirigiert als Kondraschin. Im langsamen Satz kommt die eher zuständliche Interpretation, die eine eigene Atmosphäre schafft, sehr gut zur Geltung. Es kommt dort ganz auf das Spannungs- oder Lähmungspotenzial an, was eben der Dirigent bewirken will.
Aufnahmetechnisch scheint die CD älteren Aufnahmen überlegen, die dynamischen Abstufungen kommen wunderbar herausgefeilt, plastisch und transparent aus dem Off. Wunderbar auch: kein Husten stört, kein Rascheln, dafür am Ende ein fulminanter Applaus – der will sich jedoch nicht ganz in die Gesamtatmosphäre einfügen. Klar wird nicht, warum im zweiten Satz die Flöte bereits zwei Takte vor dem Ritardando ritardiert, zumal die Solo-Violine es einige Takte davor richtig macht. Der Finalsatz kommt rasch, aber wenig wütend, zwar laut, aber zeitweise dann eher merkwürdig leidenschaftslos und statisch, dann insbesondere nach dem Accelerando ab dem più mosso (Nr. 108) nicht ganz so zornig und unbändig daher, wie man es sich wünschte.
Trotz eines – bis auf wenige, fast unmerkliche Wackler – wunderbar agierenden Orchesters besitzt die Sinfonie insgesamt wenig Biss. Die lebensbedrohliche Not, in der Schostakowitsch damals steckte, wirkt distanziert wie aus einem Geschichtsbuch.
Werner Bodendorff