Johannes Brahms, Antonín Dvorák
Symphony No. 4, Symphony No. 9 “From the New World”
Bamberger Symphoniker, Ltg. Jakub Hrůša
Dvoráks neunte und Brahms’ vierte Sinfonie in einem Schuber: Das klingt erst einmal mäßig spannend. Zwei Standardwerke des romantischen Repertoires, einmal mehr aufgenommen. Interessanter wird die Zusammenstellung schon, wenn man den Plan von Jakub Hrůša und den Bamberger Symphonikern kennt, künftig weitere Sinfonie-Kopplungen der beiden Komponisten vorzulegen. Das eigentliche Ereignis dieser zwei CDs ist freilich die vollendete Interpretation, die den 37-jährigen Tschechen als einen der wichtigsten jungen Dirigenten ausweist – einen, der es auch nicht nötig hat, sich (wie mancher Altersgenosse) wahlweise als Enfant terrible oder Klassik-Messias zu inszenieren.
Über nationale Unterschiede hinweg bestand zwischen Brahms und dem acht Jahre jüngeren Dvořák bekanntlich eine sehr enge Verbindung. Der in Wien lebende Brahms, längst arriviert und ein gemachter Mann, war ein entscheidender Förderer Dvořáks, der in Prag mühsam seine stetig größer werdende Familie durchbringen musste. Auch musikalisch verband beide so manches, die Liebe zu traditionellen Formen und zur absoluten Musik etwa – sie inspirierten einander und begegneten sich bald auf Augenhöhe.
Was lag näher, als dieses deutsch-tschechische Projekt mit den Bamberger Symphonikern umzusetzen, die 1946 von emigrierten deutschen Orchestermusikern aus Osteuropa – unter anderem von Mitgliedern des Deutschen Philharmonischen Orchesters Prag – gegründet worden sind.
Am schönsten ist, mit welcher Natürlichkeit und Ausgewogenheit Hrůša, seit 2016/17 Chefdirigent der Bamberger und Schüler von Jiří Bělohlávek, die beiden Sinfonien angeht. Da ist kein Tempo, keine Dynamik, keine Phrasierung bewusst „besonders“ oder „extrem“. Überirdische Ruhe herrscht im langsamen Satz der Sinfonie aus der Neuen Welt mit dem warmherzigen Englischhornsolo und matt schimmernden, perfekt ausbalancierten Blechbläsern. Ähnlich im zweiten Satz der Brahms-Sinfonie, der
den Hörer nach dem mächtigen Choral zum Auftakt in einen wundersamen musikalischen Schwebezustand versetzt. Daraus blühen dann Melodien herrlich empor. Das heißt jedoch nicht, Hrůšas Lesart würde die Präzision, die Transparenz, das Zupackende fehlen – im Gegenteil. Kristallklar modelliert
er das auf- und wieder absteigende Motiv im Kopfsatz von Dvořáks neunter Sinfonie heraus. Der Beginn des letzten Brahms-Satzes mit den Blechbläserakkorden: nie übersteuert, immer ausgewogen, aber auch nie langweilig.
Hrůšas Tempi sind im Ganzen nicht ungewöhnlich oder Aufsehen erregend, doch er haucht dem musikalischen Gefüge Leben ein durch sanfte, kaum merkliche Verzögerungen und Accelerandi. Nie gewinnt man einen Eindruck der Schwerfälligkeit. Hrůša weiß zu 100 Prozent, was er tut – vom
ersten bis zum letzten Takt. Das Booklet enthält ausreichend Informationen zu Brahms und Dvořák und ein längeres Interview mit dem Dirigenten.
Johannes Killyen