Anton Bruckner

Symphony No. 4 „Romantic“

Philharmonia Zürich, Ltg. Fabio ­Luisi

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Philharmonia Records PHR 0110
erschienen in: das Orchester 07-08/2019 , Seite 67

Anton Bruckners vierte Sinfonie heute neu einzuspielen, ist mehr eine Sache von Prestige als von Notwendigkeit. Von der vermutlich beliebtesten aller Bruckner-Sinfonien gibt es zahllose Aufnahmen und zwar von allen denkbaren Fassungen (die erste 1874, die zweite 1878, die dritte und mehr oder weniger definitive 1881), die der Meister der Nachwelt zur nachhaltigen Verwirrung hinterlassen hat. Als Zauderer vor dem Herrn war Bruckner über die Maßen selbstkritisch und empfindlich ebenso wie empfänglich für gutgemeinte Hinweise. Von jeder der Versionen existieren Referenzlesarten – und zwar jeweils gleich mehrere, je nachdem, welchen Interpretationsansatz man bevorzugt: den nüchternen oder den metaphysischen, den aus feinem Mischklang gewebten oder den aus kantigen Spaltklangblöcken gehauenen. Romantiker werden ebenso fündig wie Fans der Dekonstruktion.

Vor diesem Hintergrund hat der Italiener Fabio Luisi mit der Philharmonia Zürich, dem Orchester des Züricher Opernhauses, Anton Bruckners vierte Sinfonie eingespielt. Zuvor war schon die Achte erschienen, eine durchaus bemerkenswerte Aufnahme, die über ihre lange Spieldauer hinweg zunehmende Wucht entfaltet. Luisi, der seit 2012 Generalmusikdirektor in Zürich ist und früher mal Chefdirigent des MDR-Sinfonieorchesters war, spielt Bruckner natürlich auch in den Sinfoniekonzerten.

Die Vierte ist ihm nun aber nicht durchweg gut gelungen, und zwar gleich vom berühmten Anfang an mit dem großen Hornsolo, das sich über dem Es-Dur-Streicherteppich entfaltet. Es fehlt hier einfach an Gestaltung: Das Solo klingt eher glatt und auch nicht besonders voll, die Streicher regen sich darunter so gut wie gar nicht – ein eindimensionaler Einstieg. Luisi nimmt den Satz („Bewegt, nicht zu schnell“) grandios langsam, noch langsamer als Celibidache. Die Sinfonie steht einfach, sie kommt nicht von der Stelle, ist gewiss monumental, aber auch etwas steif und behäbig. Der Eindruck von Zersplitterung wird unterstrichen durch den insgesamt hellen, geschärften Klang.

Gesanglicher, aber immer noch feinnervig ist der zweite, der langsame Satz, der auch in relativ normalem Tempo daherkommt. Celli und Bratschen sind vereint im großen Trauerchor. Der dritte Abschnitt, das legendäre Jagd-Scherzo, zeigt einen sehr modernen und lichten deutschen Winterwald mit kristallinen Strukturen, der jedoch im Trio frühlingshaft erblüht. Am überzeugendsten ist vielleicht der letzte Satz, der zwar in den Steigerungen keinen triumphalen Ambitus hat, aber doch mit jeder Minute dichter und zwingender wird. Es gibt ergreifende Choräle, glutvolle und zarte Liebesmelodik mit Streichern und Holzbläsern, wunderbare Inseln der Ruhe (hier ist lange Spieldauer mehr gerechtfertigt als im Kopfsatz) und insgesamt deutlich mehr Abwechslung, als man Bruckner so zutraut. Wer aber eine wahrhaft unkonventionelle Aufnahme der Vierten hören will, dem sei die Interpretation der „Jazzrausch Bigband“ empfohlen. Da dauert der erste Abschnitt nur sechs Minuten.

Johannes Killyen