Honegger, Arthur
Symphony No. 3 “Liturgique”/ Symphony No. 1
In seinem Leben hat Dennis Russell Davies schon viele renommierte Positionen innegehabt, seit 2009 ist er Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel. Mit diesem Posten rückte Musik in seinen Interpretationsfokus, für die er bislang kaum bekannt war. Durchaus nicht übermäßig gängiges Repertoire sind heute die Sinfonien Arthur Honeggers (1892-1955). Das Interesse an dem aus der Schweiz stämmigen Franzosen ließ in den vergangenen zwanzig Jahren etwas nach, selbst der 50. Todestag am 10. März 2005 brachte keine umfassendere Retrospektive auf dem Tonträgermarkt mit sich.
In der 1929 und 1930 für Sergej Kussewitzky entstandenen ersten Sinfonie hebt Davies die dissonanten Seiten der Partitur hervor, die avantgardistischen Post-Sacre-Tendenzen, bietet einen unvergleichlich klar polyfon durchhörbaren Orchestersatz, der bei vielen älteren Einspielungen durch teilweise deutlich schnellere Tempi eher überspielt wird. So betont er gleichzeitig Honeggers Modernität und die hohe Virtuosität des Orchesters auch im Bereich der Musik des 20. Jahrhunderts. Die feinen Klangfarben von Honeggers orchestralen Texturen kommen außerordentlich klar und prägnant zum Tragen, jedoch auch die Anklänge an andere Komponisten, die man, wollte man polemisch sein, auch als Eklektizismen bezeichnen könnte. Doch ist die Intensität der Aufführung so beeindruckend, dass man Davies einen bedeutsamen Beitrag zur Honegger-Exegese attestieren kann.
Auch die als Reflexion über den soeben beendeten Zweiten Weltkrieg entstandene, dem legendären Dirigenten Charles Münch (1891-1968) gewidmete dritte Sinfonie Liturgique bürstet Davies “gegen den Strich”, raut die Oberfläche auf, verleiht ihr eine ähnliche Intensität, wie sie Brittens Sinfonia da Requiem aufweisen kann der Vergleich ist besonders offenkundig in dem “Dies irae” überschriebenen ersten Satz. Die Raffinesse, mit der Davies die Orchestertexturen auch hier offenlegt (etwa im poetischen langsamen Satz), ist abermals beeindruckend. Äußerst beeindruckend sind auch die differenziert dargebotenen, instrumentatorisch so reichen rhythmischen Finessen und die großen Streichersoli des Finales.
Für Live-Mitschnitte ist die Exaktheit der musikalischen Darbietungen bei beiden Werken vorbildlich, und auch die aufnahmetechnische Durchhörbarkeit der Produktion ist wohl kaum zu übertreffen. Es steht zu wünschen, dass Davies alle fünf Sinfonien von Honegger auf CD vorlegt. Dies wäre ein wahrscheinlich ebenso bedeutendes Unterfangen wie Ernest Ansermets Einspielungen für Decca aus den 1960er Jahren.
Jürgen Schaarwächter