Anton Bruckner
Symphony No. 3
Wiener Philharmoniker, Ltg. Christian Thielemann
Anton Bruckner musste im Laufe seines Lebens allerhand Misserfolge und Anfeindungen verkraften. Keine andere seiner Sinfonien erlebte jedoch eine derart schmerzhafte Rezeption wie seine dritte. Zur Uraufführung verließ das Publikum 1873 in Scharen, teils lachend, den Saal, verstört wohl vor allem von der blockhaften Aneinanderreihung von Motivvarianten; nur die engsten Getreuen harrten aus. Zwei Mal bearbeitete Bruckner daraufhin das Werk, jedoch konnte er mit der zweiten Fassung von 1877 auch nicht punkten. Erst mit der dritten Fassung von 1890 stellte sich der gewünschte Erfolg ein.
Aufgrund der starken Kürzungen von 2. und 4. Satz in dieser letzten Umarbeitung lässt sich gut nachvollziehen, dass Christian Thielemann als Experte langsamer Sätze für seinen Bruckner-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern die zweite Fassung favorisiert hat. Das Andante mit seinen kurzen Seufzer-Anklängen an Wagners Tristan wird denn auch zum Herzstück dieser Einspielung. Das fängt schon damit an, dass es sich in der denkbar größten Ruhe entfalten kann. Über den ariosen, chromatischen Melodien waltet ein ungemein edler, runder Klang, um die kurzen choralähnlichen Motive in tiefer Lage tönen die Streicher wunderbar markig und erhaben, und das „Misterioso“-Motiv kommt leicht und grazil daher.
Auch alle übrigen Sätze zeichnet der besondere Klang der Wiener aus, der reich ist an Volumen, aber niemals dicklich, majestätisch und zugleich elastisch.
Geleistet wurde hier auch seitens der Aufnahmetechnik allerhand. Selbst bei voller Phonstärke tönen lange, bewegte Fortissimo-Passagen mit raschen Tonketten und Bläserfanfaren in den Ecksätzen sehr brillant. Eine weitere große Leistung liegt in der Homogenität der Streicher, die besonders auch dann ins Gewicht fällt, wenn sie endlose Skalen im Pianissimo spielen wie zu Beginn des ersten Satzes „Gemäßigt, mehr bewegt, misterioso“. Alles wirkt wie unter einem Bogen auf einem großen Atem musiziert, sodass trotz Zäsuren, Fermaten und Generalpausen die Musik zwischen den Blöcken nie zerfällt. Vor allem der Ton des Erhabenen, den Bruckner nahezu immer trostreich auf abgründige Ausbrüche folgen lässt, erhält aufs Trefflichste Raum. Bei alledem stimmt stets die Balance zwischen Aufruhr, Feierlichkeit, Schlichtheit, Schmerz und Leidenschaft.
In Corona-Zeiten weitaus weniger ausgelastet als gewohnt, konnten sich Orchester und Dirigent den Luxus einer noch längeren Probenzeit gönnen als sonst. Die Liebe zum Detail vermittelt sich besonders auch im Scherzo, das trotz des dramatischen Anstrichs in den fortlaufenden Achtelbewegungen der Streicher nie zu schwer anmutet. So eine rundum geniale Wiedergabe gelingt nur nach langer, intensiver Beschäftigung mit dem Komponisten. Bei Christian Thielemann zieht sie sich nach vorangegangenen Zyklen mit den Münchner Philharmonikern und der Sächsischen Staatskapelle Dresden über Jahrzehnte. Nach Referenzaufnahmen dieser Sinfonie in der bekannteren dritten Fassung unter Celibidache oder Günter Wand setzen Thielemann und die Wiener nun Maßstäbe mit der zweiten.
Kirsten Liese