Szymanowski, Karol / Witold Lutoslawski

Symphony No. 2 / Livre pour Orchestres / Musique funèbre à la mémoire de Béla Bartók

Polish National Radio Symphony Orchestra, Ltg. Alexander Liebreich

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Accentus Music ACC 30349
erschienen in: das Orchester 07-08/2016 , Seite 74

Auch diese zweite CD-Einspielung des renommierten polnischen Spitzenklangkörpers und seines deutschen Chefdirigenten ist ein großer Wurf. Wieder hat Alexander Liebreich auf Komponisten und Werke gesetzt, die zum Kernrepertoire des traditionsreichen Orchesters zählen: auf Komponisten, die international große Bedeutung erlangt haben, und auf Werke, denen dabei eine Schlüsselrolle zufiel. Für die Aufnahmen im Jahr 2015 wurde der neuerbaute Konzertsaal in Katowice mit seiner „avancierten Architektur und einzigartigen akustischen Brillanz“ zum idealen Ort. Denn alle Stücke stehen im Zeichen des Klangs. Und so gelingt es den exzellenten Interpreten, den schwelgerischen Lyrismus Szymanowskis und Lutoslawskis luzide Tonspiele bravourös und mit enormer Ausdrucks- und Strahlkraft zur Wirkung zu bringen.
Die 2. Sinfonie B-Dur op. 19 – „ein Werk, wie es noch kein Pole komponiert hat“ – bescherte Karol Szymanowski Ruhm. Er hatte Anschluss an Europas „Moderne“ gefunden, hatte die Einflüsse von Wagner, Strauss, Reger und Skrjabin sublimiert und das eigene Idiom bereichert. Auch die Form war originell: „Sie besteht aus zwei Sätzen: der 1. in einfacher Sonatenform, der 2. ein Thema mit Variationen (die gewissermaßen die zwei mittleren Sätze der üblichen Sonate ersetzen) sowie eine Fuge als Finale.“ Und die vereint alle Themen und offenbart deren Verwandtschaft. Doch nicht die Warschauer Uraufführung am 7. April 1911 unter Grzegorz Fitelberg, sondern die Reprisen in Berlin, Leipzig und vor allem in Wien am 18. Januar 1912 brachten den Durchbruch – da zusammen mit der teuflisch schweren, analog gebauten A-Dur-Klaviersonate op. 21.
Was Material, Form und Ausdruck angeht, so könnten die Unterschiede zwischen Witold Lutoslawskis beiden Werken größer kaum sein. Mit der 1958 von Jan Krenz inspirierten Trauermusik für Streichorchester beendete er seine folkloristische Periode, wandte sich der Dodekafonie zu und setzte mit der einsätzigen Bogenform Bartók auch architektonisch ein großartiges Klangdenkmal. Die streng geformte Reihe (Halbtöne und Tritoni) wird frei gehandhabt. Aus dem polyfonen Gewebe in „Prolog“ und „Epilog“ wachsen Klage- und Glocken-Motive hervor; vehemente Zwölfklang-Repetitionen markieren das „Apogäum“ als Gipfelpunkt, und auch im musikantischen Furor der „Metamorphosen“ ordnen Spiegelformen die Töne.
Völlig mit dem Aufbau und dem Ausleuchten weiter Klangräume ist das Buch für Orchester befasst. Vierteltöne, Cluster und Aleatorik liefern das Material, und der Kontrast zwischen exakt notierten „Kapiteln“ (1-3) und improvisierenden „Intermedien“ (1 und 2), ihre Synthese und Steigerung (Intermedium 3 und Kapitel 4) sowie Farben und Gesten, narrative und kantable Elemente schaffen vielschichtige Strukturen und Emotionen. Das Werk entstand im Auftrag des Städtischen Orchesters Hagen und wurde am 18. November 1968 unter Leitung von Berthold Lehmann uraufgeführt. Im Jahr darauf erklang es beim Warschauer Herbst; Jan Krenz stand am Pult der Polnischen Nationalphilharmonie…
Eberhard Kneipel