Alexander Skrjabin

Symphony No. 2 in c-minor op. 29/Le Poème de l’Extase op. 54

WDR Rundfunkchor, Gürzenich-Orchester Köln, Ltg. Dmitrij Kitajenko

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics
erschienen in: das Orchester 07-08/2021 , Seite 73

Die Orchesterwerke des russischen Komponisten Alexander Skrjabin sind bei seinem Landsmann, dem Dirigenten Dmitrij Kitajenko, in guten, womöglich sogar in besten Händen. Denn seit Jahrzehnten setzt er sich mit der romantisch-modernen Tonsprache des schöpferischen Neuerers auseinander, der nicht nur der Kunstmusik seiner Zeit, sondern auch impressionistischen und expressionistischen Malern erkennbar die Richtung gewiesen hat. Wassily Kandinskys abstraktes Bühnenwerk Der gelbe Klang wäre ohne die Vorarbeit Skrjabins vermutlich nicht entstanden.
Auf dem Weg von der Romantik zur Moderne stand die Auflösung
der Tonalität durch den synthetischen, sogenannten mystischen Akkord aus sechs überlagerten Quarten, dem Skrjabin symbolischen Wert zumaß. Außerdem die assoziative Verbindung von zwei Sinneserfahrungen: Tönen und Farben – do entspricht Rot, re dem Gelb, sol Orange.
Skrjabin wollte ein Gesamtkunstwerk schaffen, anders zwar als Richard Wagner, doch mindestens so anspruchsvoll. Sogar Körperempfindungen sollten mit Klängen verbunden werden. Als junger Musiker stand er unter dem Einfluss von Chopin und Wagner. Tschaikowskys Musik lehnte er als „schlechte Volkstümlichkeit“ ab. Denn Kultur war für Skrjabin höchste Vergeistigung. Im Laufe der Jahre hat er sich ohnehin von allen befreit und entwickelte seinen radikal persönlichen Stil.
Der 2. Sinfonie c-Moll von 1901 hat er eine Art Programm unterlegt: Lebenskampf – Sieg oder Untergang, aber ohne Gesang auf Worte wie noch in seiner Ersten. Vier Sätze rahmen – jeweils zwei und zwei attacca verbunden – einen langen naturszenenen Mittelsatz. Den Schlusssatz, der nach Dur wechselt und Fanfarentriumph hören lässt, soll Skrjabin selbst als etwas missglückt beurteilt haben. Zu plakativ! Das macht ihn zu einem Prüfstein für die Qualität dieser Einspielung, denn es gelingt Kitajenko und den Musikern des Gürzenich-Orchesters Köln, ihn dank Dynamik
und Phrasierung und mit feiner Tonbildung ohne falsches Pathos zu spielen. Zudem klingt durchgängig überzeugend, wie das Motto oder Thema der Sinfonie behandelt wird: Es tritt sehr oft auf – was man als Hörer erst nach und nach wahrnimmt, denn es klingt immer wieder neu. Die Interpretation bietet dem Ohr eine sprechende und bedeutungsnuancierte, farbige Klangwelt.
Für Le Poème de l’Extase – konzipiert ab 1905 – verringerte Skrjabin die Form von fünf auf einen Satz. Überhaupt ist es ein Werk ohne formale Schwere. Dies zu zeigen, leistet die Einspielung. Die vollkommen geschlossene Komposition nach rein musikalischen Aspekten, deren tonales Gefüge sich auflöst, ist nur noch freies Spiel – souverän dirigiert und dicht gespielt, mit einem vokal-schönen Schluss, den die Stimmen des Chors in die Instrumentalmusik einweben und im Ausdruck steigern.
Die CD ist in jeder Hinsicht gelungen: musikalisch, aufnahmetechnisch und mit gutem Booklet.
Kirsten Lindenau