Dmitri Schostakowitsch
Symphony No. 11 (The Year 1905)
SWR Symphonieorchester, Ltg. Eliahu Inbal
Es ist einige Jahre her, dass die Fusion der beiden SWR-Sinfonieorchester aus Baden-Baden und Freiburg sowie aus Stuttgart die Musikwelt in Wallung brachte. Das kritisch beäugte Ergebnis veröffentlicht nun seine erste rein orchestrale CD – mit Schostakowitschs 11. Symphonie, dirigiert nicht vom aktuellen Chefdirigenten Teodor Currentzis, sondern von Eliahu Inbal, der vor Jahrzehnten bereits beim Label Denon einen aufsehenerregenden Schostakowitsch-Zyklus herausbrachte. Aufgenommen wurde das Werk in der ersten Hälfte der Saison 2018/19; in den ersten Spielzeiten des Orchesters spielte die Sinfonik Mahlers und Schostakowitschs eine besondere Rolle.
Die Sinfonie Nr. 11 hatte es außerhalb Russlands bzw. der Sowjetunion lange Zeit schwer, angemessen rezipiert zu werden; das Schimpfwort „Programmsinfonik“ stand einer Würdigung des Werks im Weg. Nun bezieht sich die Sinfonie in ihrem Untertitel zwar konkret auf Das Jahr 1905 mit dem Massaker, welches das Zarenregime an wehrlosen Demonstranten verübte, doch wie in so vielen Werken Schostakowitschs geht es vielmehr um Gewalt und Unrecht allgemein. Die Dirigenten haben das Werk schon immer geschätzt, und daher gibt es zahlreiche Einspielungen, auch außerhalb von Gesamtzyklen; Leopold Stokowskis schon relativ kurz nach der Uraufführung entstandene Aufnahme ist nur ein Beispiel. Daher muss sich Inbals Aufnahme einer zahlreichen Konkurrenz stellen.
Im Grunde gibt es in Schostakowitschs Jahr 1905 drei „Grundstimmungen“, die sich abwechseln: brütende Stille, gefühlvolle Kontemplation und mit Aggression durchwirkte Dramatik. Allerdings darf der Kontrast dieser Stimmungen nicht auf Kosten der Einheitlichkeit des Werks gehen, die durch attacca-Anschlüsse zwischen den einzelnen Sätzen zusätzlich betont wird. Genau daran liegt der Kritikpunkt der vorliegenden Einspielung. Die stillen bzw. ruhigen Passagen gelingen Inbal durchgehend gut. Die eisige Stille des Kopfsatzes – und auch ihre Wiederkehr im zweiten Satz sowie im Finale – verliert nie ihre unterschwellige Bedrohlichkeit, und das Adagio an dritter Stelle fasst ohne Sentimentalität jenes „ewige Gedenken“ in Töne, das der Komponist im Sinn hatte. An der Klangqualität des Orchesters ist ebenso wenig auszusetzen wie an der Aufnahmetechnik.
Etwas anders liegen die Dinge im zweiten Satz sowie im Finale. Es fällt schwer, die Musik dieser Teile als andere Seite derselben Münze zu sehen: Es fehlt der notwendige Antrieb und auch der Wille zur brutalen Gewalt. Das Massaker des dritten Satzes mit seinen Schlagzeuggewittern etwa wirkt viel zu harmlos. Auch vermisst man in diesen Passagen, im Gegensatz zu den trügerischen Momenten der Stille, eine hinreichende klangliche Transparenz. So sind etwa die wichtigen Glocken in der Coda des Finales nur unzureichend zu hören.
Wäre dies die einzige Aufnahme von Schostakowitschs Elfter: Man könnte sie glatt empfehlen. So wie die Dinge liegen, handelt es sich aber nur um eine weitere gute Einspielung unter mehreren anderen.
Thomas Schulz