Brahms, Johannes

Symphony No. 1 in c minor op. 68 / Symphony No. 2 in D major op. 73 / Symphony No. 3 in F major op. 90 / Symphony No. 4 in e minor op. 98

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: ArtHaus 101243/101245
erschienen in: das Orchester 06/2006 , Seite 91

Wer sich seinen Platz auf dem Olymp der Dirigenten nachhaltig sichern möchte, kommt an gewissen Referenzaufnahmen nicht vorbei. Ganz oben auf der Liste rangieren dabei die Sinfonien von Johannes Brahms. Auf dem heutigen Interpreten mag ein ähnlicher Druck lasten wie Brahms ihn verspürte, als er glaubte, die Sinfonie nach Beethoven quasi neu konzipieren zu müssen. Stets präsent sind die Forderungen, sich im Spannungsfeld der an die originale Besetzung der Meininger Hofkapelle angelehnten historisierenden Aufführungspraxis und den opulenten Klangwelten eines Wilhelm Furtwängler ein unverwechselbares Profil zu verschaffen.
Semyon Bychkov erfindet auf der vorliegenden Einspielung zwar das Rad nicht neu, wird jedoch ohne Weiteres dem Anspruch, mit dem WDR Sinfonieorchester ein ausdrucksstarkes Klanguniversum zu schaffen, gerecht. Getragen von seiner seit Jugendjahren anhaltenden Faszination für Brahms’ Œuvre besticht Bychkovs Ausdeutung der vier Sinfonien durch eine von Herzen kommende Lebendigkeit. Auf groß angelegte Kontraste in Dynamik und Tempo wird zugunsten weit ausgekosteter melodischer Spannungsbögen verzichtet.
Die Kölner überzeugen hier mit intensiven Legati, die bei aller Liebe zum kultivierten Schönklang niemals die Transparenz der musikalischen Linie sowie die Spielpräzision außer Acht lassen. Jedes Register ist in der Lage, in dieser Liveaufnahme seine ganz eigenen Akzente zu setzen, wobei vor allem das hohe Holz durch Nuancenreichtum und eine nahezu makellose Intonation auf sich aufmerksam zu machen weiß. Als besonders perfekt austariertes Wechselspiel sticht die dritte Sinfonie hervor. Von der ersten Note an wird deutlich, dass das WDR Sinfonieorchester endgültig in der internationalen Liga angekommen ist.
Die vorliegenden DVDs überzeugen jedoch auch unter außermusikalischen Gesichtspunkten. Bild- und Tonregie lassen keine Wünsche offen, als besonderes Bonbon wird dem Zuschauer von Regisseur Hans Hadulla die Illusion eines Exklusivkonzerts verschafft. Das umfangreiche Bonusmaterial gewährt auf unterhaltsame Weise Einblicke in Bychkovs Persönlichkeit und die wichtigsten Stationen seines künstlerischen Werdegangs.
Sandra Sinsch