Johannes Brahms
Symphony No. 1/ Haydn-Variations
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Ltg. Paavo Järvi
Eine Sternstunde mit Brahms! Von der ersten Note an wird man in der ersten Symphonie von Johannes Brahms von der drängenden Energie eingefangen, die Paavo Järvi mit „seiner“ Kammerphilharmonie erzeugt. Der agile Orchesterklang, die optimale Transparenz, die Durchgestaltung jeder einzelnen Stimme, die dynamische Spannweite, die Verdeutlichung der rhythmischen Vielschichtigkeit sind einige Elemente, die diese Einspielung auszeichnen. Paavo Järvi ist auch ein Meister des Spannungsaufbaus. Exemplarisch möge hier neben der Eröffnung der Symphonie die Introduktion zum 4. Satz genannt werden, wo jedes einzelne Pizzicato zum Ereignis wird.
Die Symbiose zwischen Dirigent und Orchester zeigt sich in einem leidenschaftlichen Musizieren, das keine Sentimentalität zulässt. Die Musik verdeutlicht so in der für die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen typischen Klangkultur in idealer Weise das, was Michael Struck im sehr informativen Booklet auf einen kurzen Nenner bringt: „Brahms’ ,Erster‘ mangelt es wahrlich nicht an symphonischer Sprengkraft!“ Es ist eine bezwingende, aufregende Interpretation, die das Ergebnis einer intensiven Beschäftigung mit dem späten Erstling des Komponisten darstellt. Darüber hinaus ist sie die musikalisch logische Konsequenz aus der vorangegangenen Beschäftigung mit den Symphonien von Beethoven und Schumann sowie der historisch informierten Aufführungspraxis.
Nach diesem Hörerlebnis sind die Variationen über ein Thema von Haydn op. 56a ein sinnvoller und notwendiger Kontrast, der die Hochspannung quasi durch die Reihungsform zurückführt. Brahms breitet in seinem 1873 zunächst als Fassung für zwei Klaviere entstandenen Werk seinen ganzen Kosmos der Variationskunst aus, und die Qualitäten der Interpreten führen auch hier zu einer exemplarischen Aufnahme.
Selten wird die Mehrschichtigkeit des Orchestersatzes so plastisch dargestellt wie beispielsweise in der dritten und vierten Variation. Brillant die Leichtfüßigkeit der fünften und der Wechsel zur markanten Rhythmik der nächsten Variation! Mit dem folgenden Siziliano geht der Blick von Brahms zurück – mit eindrucksvoll hervorgehobener Viola im Mittelteil –, um unmittelbar mit einem leise dahinhuschenden, geradezu geisterhaft wirkenden Scherzo wieder in der kompositorischen Gegenwart anzukommen, bevor mit einer Passacaglia als krönendem Finale sich Brahms auf seine Art wieder mit der Tradition auseinandersetzt.
Die Bremer unter Paavo Järvi sind nicht nur Genauigkeitsfanatiker, was die Umsetzung und Intention des Notentextes angeht, sodass man sich kaum eine exaktere Wiedergabe der kompositorischen Absichten denken kann, sondern sie sprühen ebenso vor Musizierlust, die sich im Konzertsaal und auch auf dieser CD einstellt. Die Auszeichnung der bereits erschienenen 2. Symphonie von Brahms (siehe das Orchester 3/2018, S. 67) mit dem Opus Klassik als „Sinfonische Einspielung des Jahres (Musik des 19. Jahrhunderts)“ könnte auch für die vorliegende Einspielung gelten.
Heribert Haase