Ludwig van Beethoven
Symphony 9
Regula Mühlemann (Sopran), Marie-Claude Chappuis (Alt), Maximilian Schmitt (Tenor), Thomas E. Bauer (Bariton), NFM Choir, Kammerorchester Basel, Ltg. Giovanni Antonini
Ludwig van Beethovens 9. Symphonie war ein Ausnahmewerk. In seinem Œuvre. In der Musikgeschichte. In der Menschheitsgeschichte. Seit 2001 gehört das Autograf zum UNESCO-Weltdokumentenerbe, und die Freudenmelodie aus dem Chorfinale repräsentiert als Europahymne einen ganzen Kontinent. Durch die Einbeziehung von Gesang wurde die Gattung der Symphonie, welche von einflussreichen Ästhetikern zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Mustergattung der Instrumentalmusik bezeichnet und zum Zentrum absoluter Musik stilisiert wurde, geradezu erschüttert.
Vieles wäre einfacher gewesen, wenn Beethoven seine 10. Symphonie noch hätte vollenden können. Wäre diese wieder rein instrumental gewesen, so wäre der Ausnahmecharakter der Neunten als Sonderfall bestätigt gewesen. Bei einer erneuten Öffnung hin zur Vokalmusik hätte man hingegen von einer stärker gesicherten neuen Tendenz ausgehen können, die Beethoven damit für die Zukunft vorgibt. Aber die Neunte wurde zu Beethovens Opus ultimum auf dem Gebiet der Symphonie und zugleich zum Ausgangspunkt engagierter Diskurse über die Zukunft der Gattung und die Frage, inwiefern die Vermischung mit Vokalmusik das Ende von traditionellen Gattungsgrenzen bedeutet.
Dieser Ausnahmecharakter der Neunten stellt Interpreten immer wieder aufs Neue vor enorme Herausforderungen. Dies gilt nicht nur für die vokalen Anteile im Chorfinale, sondern auch für die übrigen Sätze. Der Kontrast zwischen höchster Dramatik und tiefstem Gefühlsausdruck, zwischen Verstörung und erlösender Befreiung ist in der Neunten so stark ausgeprägt wie in kaum einem anderen Werk.
Giovanni Antoninis Dirigat zeichnet sich durch hochpräzise Rhythmik und insgesamt durchweg rasch gewählte Tempi aus. Namentlich die Dramatik der sich im Kopfsatz öffnenden Abgründe wird hierdurch dem Hörer auf direktem Weg unverblümt transparent gemacht. Die Wehmut des Adagio-Satzes gerät hierdurch allerdings in den Hintergrund zugunsten einer sachlichen Nüchternheit. Diese eröffnet einen anderen, gewiss nicht minder interessanten Blick auf das Werk, führt gleichwohl aber auch zu gewissen Irritationen. Absolut gelungen ist hingegen das Zusammenwirken zwischen Solisten, Chor und Orchester im Finalsatz. Antonini trifft dabei genau die richtige Balance, der es bedarf, um den Gesangssolisten ausreichend Raum zu geben, sich frei zu entfalten, ohne sich gegen eine orchestrale Übermacht durchsetzen zu müssen. Dabei kommt den Sängern auch die dünnere Streicherbesetzung des Kammerorchesters Basel entgegen. Besonders besticht zudem der NFM Choir mit einem überaus warmen und voluminösen Ton.
Abgerundet wird die Einspielung durch ein detailreiches Booklet, welches neben dem Text des Chorfinales auch zahlreiche musikanalytische Aspekte thematisiert
sowie Informationen zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte vermittelt.
Bernd Wladika