Schmidt-Kowalski, Thomas

Symphonische Dichtungen

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naxos 8.551281
erschienen in: das Orchester 04/2010 , Seite 76

Ich stelle mir vor, wie es gewesen sein muss, als die Damen und Herren des Leipziger Symphonie Orchesters, gewöhnt an ein durchaus breites Repertoire bis hin zu Dodekafonie und Avantgarde des endzwanzigsten Jahrhunderts, auf ihren Pulten erstmalig ein Werk ihres neuen Chefdirigenten Thomas Schmidt-Kowalski vorfanden. Ob da nicht in den ersten Proben einige der Musiker etwas betreten dreingeschaut haben?
Eigentlich hat Schmidt-Kowalski in handwerklicher Hinsicht alles „drauf“: Er weiß, wie man eine Partitur schreibt, er beherrscht die Orchestrierung, er kennt sich mit Klangfarben ebenso aus wie mit den Tempi, er weiß dynamische Akzente zu setzen. Aber ist Handwerk gleichzusetzen mit Kunst? Entsteht daraus nicht nur Kunsthandwerk, gefällig zwar, aber ohne Belang? Bringt Schmidt-Kowalski (und bezeichnenderweise nur er!) nämlich seine Musik zum Erklingen, so wird daraus ein „fröhliches“ Leipziger Allerlei aus Mendelssohn, Spohr, Liszt, Reger, Pfitzner, Bruch, Mahler, Bruckner, Mantovani, Kirchenchorälen und anderen Ingredienzien. Alles dies wird gut verrührt und mit einer überreichlichen Portion Pathos – man könnte auch sagen: Schwulst – abgeschmeckt. Wer Beispiele sucht für eklektizistisches Komponieren, der wird von Schmidt-Kowalski vorzüg-lich bedient!
Noch vor dem Einlegen dieser CD drängt sich die Frage auf, wie zeitgemäß heute noch eine Symphonische Dichtung sein mag. Hat sie sich nicht schon mit ihrem Erfinder, mit Liszt selbst, längst überlebt? Ist sie nicht nur noch Relikt, ganz wie ihr literarisches Pendant, das Poem? Um bei der Literatur zu bleiben: Man stelle sich vor, Thomas Schmidt-Kowalski sei nicht Musiker, sondern Dichter, der es sich kurz vor dem Jahr 2010 in den Kopf gesetzt hat, im Hölderlin’schen, Dehmel’schen, George’schen Duktus zu schreiben. Nehmen wir weiterhin an, er würde dafür einen wohlwollenden Verleger finden. Wer würde diese Werke lesen oder auch nur lesen wollen?
Genauso aber klingen seine Symphonischen Dichtungen: veraltet, staubig, manieriert. Vatermörder und Bratenrock. Und damit ist nichts gegen Hölderlin, Dehmel oder George gesagt. Sie schrieben in der Sprache ihrer Zeit! Schmidt-Kowalskis Dichtungen sind im besten Falle geeignet als Meditationsmusik zum Abplätschern vor esoterischem Hintergrund. Wobei es völlig egal ist, ob wir der Sternennacht oder den Meditationen, der Wiederkehr von Atlantis oder der Elegie in fis-Moll lauschen. Sie klingen alle irgendwie gleich: Schöpflöffelportionen des eingangs erwähnten Eintopfgerichts, leicht unterschiedlich abgeschmeckt.
Und damit liegt er zweifellos voll im Trend.
Friedemann Kluge