Godard, Benjamin
Symphonies op. 23 & op. 57 / Trois Morceaux op. 51
Münchner Rundfunkorchester, Ltg. David Reiland
Mehrere Werke des französischen Spätromantikers Benjamin Godard (1849-1895) wurden in den vergangenen Jahren auf CD entdeckt, darunter Klaviermusik, seine beiden Klavierkonzerte, Violinsonaten, Violinkonzerte, Streichquartette, Klaviertrios und Lieder; von den Orchesterwerken erschien die originelle Symphonie orientale.
Nun veröffentlicht das Münchner Rundfunkorchester bei cpo gleich zwei Symphonien (op. 23 und op. 57) sowie die Orchesterstücke Trois Morceaux op. 51. Die Aufnahmen unter dem Belgier David Reiland, Chef des Orchestre de Chambre du Luxembourg, entstanden im Vorfeld einer konzertanten Aufführung von Godards Oper Dante durch das Rundfunkorchester im Prinzregententheater am 31. Januar 2016. So hatten die Musiker bereits im September 2015 die Gelegenheit, sich auf den Franzosen einzustimmen. Kooperationspartner war das Palazzetto Bru Zane Zentrum für die französische Musik der Romantik.
Die 1874 und 1879 entstandenen Symphonien vergegenwärtigen die reiche französische Orchestermusik der zweiten Jahrhunderthälfte. Neben Saint-Saëns, Chausson und Franck gab es eine durchaus kontinuierliche Symphonietradition. Dabei orientierten sich Komponisten entweder an Programmmusik oder einer romantisch-klassizistischen Linie. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg kam es auch zur Loslösung von der deutsch-österreichischen Dominanz und dem Befestigen einer nationalen Instrumentalmusik. Das machte sich nicht zuletzt in neuen Konzertreihen und Orchestern bemerkbar, so dem von Édouard Colonne 1873 gegründeten Concert national. Darüber berichtet auch der Booklettext von Emmanuel Pelaprat.
Mit seiner zweiten Symphonie op. 57 wird man den am Pariser Konservatorium bei Napoléon-Henri Reber, einem Schüler von Anton Reicha und Jean François Lesueur, ausgebildeten Godard eher der romantisch-klassizistischen Linie zuordnen. Die reguläre Viersätzigkeit und komprimierte Anlage deuten darauf hin. Auch das Orchester ist durchaus traditionell besetzt, Pelaprat erwähnt als Vorbilder Mendelssohn und Schumann.
Trotz schöner melodischer Einfälle und kompositorischen Meriten ist gerade dieses vom Münchner Rundfunkorchester souverän, aber wenig raffiniert gebotene Werk kein besonders starkes Plädoyer für Godard. Viel profilierter ist die Symphonie gothique op. 23 in ihrer ungewöhnlichen Mixtur aus Historismus (melodisch-harmonische Archaik, Polyfonie, Choral) und Romantik. Als Fortführung von Mendelssohns Reformationssymphonie ist das Werk interessant. Die strenge und dabei klangvoll-sensible Interpretation überzeugt hier auf ganzer Linie.
Fantasievoll geben sich auch die um 1880 entstandenen Trois Morceaux, ein Zyklus ganz unterschiedlicher Stücke. Darunter findet sich die delikat instrumentierte und rhythmisierte Brésilienne (mit brasilianischem Kolorit), ein bemerkenswerter Trauermarsch sowie das festlich schunkelnde Kermesse (Kirmes). Alle drei Stücke gefallen durch Charaktervielfalt und kompositorische Stringenz.
Matthias Corvin


