Shostakovich, Dmitry
Symphonies Nos. 9 & 15
Im Repertoire des Dirigenten Andrey Boreyko nimmt das Schaffen von Dmitri Schostakowitsch schon seit vielen Jahren einen zentralen Platz ein. Der in St. Petersburg geborene Musiker hat dort wie auch Schostakowitsch das Konservatorium besucht und bei nahezu allen seiner Stationen als Dirigent war die Musik seines Landsmanns ein wichtiger Bestandteil seiner Konzertprogramme. Heute ist Andrey Boreyko Generalmusikdirektor der Düsseldorfer Symphoniker, in gleicher Funktion ist er inzwischen zudem auch beim Orchestre National de Belgique tätig.
Seit dem Beginn seiner Verpflichtung als 1. Gastdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR haben Kompositionen von Musikern aus der Sowjetunion einen wichtigen Anteil an seiner Arbeit bei dem Ensemble. Mit dem Stuttgarter Orchester hat er beispielsweise die Vierte von Dmitri Schostakowitsch aufgenommen, die er gemeinsam mit der Uraufführung der Originalfassung der Suite aus der Oper Lady Macbeth von Minsk bei Hänssler Classics vorstellte.
Seine jüngste, live mitgeschnittene CD ist wiederum dem Symphoniker Schostakowitsch gewidmet. Dessen 9. und 15. Sinfonie bilden mit dem hervorragend musizierenden Radio-Sinfonieorchester eine sehr sinnvolle Koppelung. Boreyko nähert sich beiden rätselhaften Werken mit einer auf Genauigkeit der Partituranalyse basierenden Durchleuchtung der vielschichtigen Musik. Die Neunte, die nach dem Sieg der Roten Armee über die deutsche Wehrmacht entstand, hätte nach dem Willen der sowjetischen Führung eine Apotheose des siegreichen Führers Stalin sein sollen. Davon ist bei Schostakowitsch nichts zu hören. Ironisch gebrochen, vieldeutig, gelegentlich bouffanesk, aber auch voller Spott und Grimm werden, wenn sie überhaupt auftauchen, militärische Marschelemente umgedeutet. Getragen von den hervorragenden solistischen Holzbläsern, besonders von Flöte und Klarinette, gestaltet Boreyko die Es-Dur-Sinfonie ohne aufgesetztes Grimassieren, baut bei teilweise sehr langsamen Tempi extrem tragfähige Spannungsbögen auf.
Schostakowitschs 15. Sinfonie, sein sinfonischer Schwanengesang, steckt voller Anspielungen, Zitate und Selbstzitate. Von Rossinis Wilhelm Tell-Ouvertüre über das B-A-C-H-Motiv zu Wagners “Todesverkündung” aus der Walküre hin zu vielen biografisch deutbaren Selbstzitaten ist die
A-Dur-Sinfonie ein rätselhaftes Werk. Boreyko gelingt es, die Zitate in den sinfonischen Gesamtverlauf einzubinden, und er stützt sich dabei nicht nur auf die hervorragend besetzten ersten Pulte des RSO Stuttgart, sondern auch auf eine klangliche Ausformung der Partitur, die nur mit einem Spitzenorchester möglich ist. Die scheinbare Heiterkeit des Werks wird ohne Übertreibungen als Fassade deutlich gemacht, hinter der die Schrecken eines ganzen Jahrhunderts zu lauern scheinen. Auch dank der überzeugenden Aufnahmetechnik ist dies eine mehr als empfehlenswerte CD, die auch im großen, qualitativ hochwertigen Angebot der Schostakowitsch-Einspielungen einen bedeutenden Platz einnehmen kann.
Walter Schneckenburger