Felix Mendelssohn Bartholdy
Symphonies Nos. 4 & 5
NDR Radiophilharmonie, Ltg. Andrew Manze
Schon die erste CD mit der ersten Sinfonie und der „Schottischen“ von Mendelssohn, gespielt von der NDR Radiophilharmonie aus Hannover unter ihrem Chefdirigenten Andrew Manze, fand zu Recht überaus positive Resonanz. Nun liegt, womöglich als Teil eines Zyklus, zu dem dann noch die Lobgesang-Sinfonie fehlen würde, eine Super Audio CD mit der „Italienischen“ von Mendelssohn und der „Reformations-Sinfonie“ mit diesen Interpreten vor. Und die Wirkung ist fast noch stärker.
Der Geiger und Dirigent Andrew Manze kommt aus der Originalklangbewegung und stand zeitweilig an der Spitze des legendären English Concert. Nun leitet er ein „klassisches“ Sinfonieorchester, das als ehemaliges Rundfunkorchester des NDR ein breites Repertoire weit über die sogenannte E-Musik hinaus abgedeckt hat und noch immer abdeckt. Es ist also kein Spezialensemble für historische Aufführungspraxis, doch das war das damalige RSO Stuttgart vor dem Amtsantritt von Roger Norrington auch nicht. Von diesem gibt es unter Norrington ja auch die vier Mendelssohn-Sinfonien ohne Lobgesang in einer historisch informierten Einspielung.
Manze macht mit seinem Hannoveraner Mendelssohn bei den Sinfonien 4 und 5 seinem Landsmann gehörig Konkurrenz. In vielen Momenten – wenn es kaum oder gar kein Vibrato gibt, einen transparenten Klang, eine sprechende Artikulation und Phrasierung – folgen beide analogen Idealen. Was Manze mit seinem auch hier exzellent spielenden und klangtechnisch optimal eingefangenen Orchester ein wenig mehr erreicht, ist eine Verbindung von klassischem Formsinn und einer tiefen Wärme und Innigkeit in der Empfindung. Hier wird immer sehr klar und differenziert musiziert, sind die musikalischen Abläufe von innerem Leben erfüllt, gibt es zwingende Steigerungen und feurige Höhepunkte. Doch dazu ist gerade in der sehr facettenreichen Ausarbeitung der Charaktere die Liebe zu dieser Musik spürbar.
Bei Andrew Manze und der NDR Radiophilharmonie werden diese beiden Sinfonien klar durchschaut und zugleich auf ganz natürliche Weise miterlebt. Das vermittelt ein großes Hörvergnügen. Bei der „Italienischen“ teilt sich so die Lebensfreude der Ecksätze auf wahrlich animierende Weise mit, und in der „Reformations-Sinfonie“, die der Komponist selbst so wenig schätzte, wird die Würde und Größe des Werks vom ersten Satz bis zur Apotheose des Ein feste Burg-Chorals offenbar. Sehr gut, dass auch die Überleitungsmusik vor dem gleichsam mystischen Einsatz der Soloflöte mit dem Choral gespielt wird.
Die hier zu hörenden Sinfonien Mendelssohns sind fest im Repertoire verankert, doch als Folge der düstersten Zeit deutscher Geschichte wird Mendelssohn hierzulande noch immer gelegentlich als zu leicht befunden. Da ist eine Referenzaufnahme wie diese zu begrüßen, die dem Rang dieser Musik voll gerecht wird.
Karl Georg Berg