Johannes Brahms

Symphonies Nos. 3 & 4

Elbphilharmonie Hamburg, The First Recording, NDR Elbphilharmonie Orchester, Ltg. Thomas Hengelbrock

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical 88985405082
erschienen in: das Orchester 06/2017 , Seite 66

Allen Unkenrufen zum Trotz: Die Elbphilharmonie in Hamburg ist eröffnet worden und darf nun neben vermutlich jahrelanger Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, einer der besten Konzertsäle der Welt zu sein. Da konnte die erste Aufnahme von der Edelbühne nicht lange auf sich warten lassen. Und natürlich war sie dem Hausherrn vorbehalten, dem NDR Sinfonieorchester, das jetzt „NDR Elbphilharmonie Orchester“ heißt. Auf dem Cover ist, ebenso erwartungsgemäß, das neue Haus zu sehen, ein gleißendes Segel mit Backsteinunterbau, eine Land- und Seemarke im Hamburger Hafen.
Der Lobpreis über die Akustik des großen Saals hatte sich so schnell herumgesprochen, dass die erste CD nun wie ein basisdemokratisches Teilhabeangebot an alle Welt wirkt, die noch keine der begehrten Eintrittskarten ergattern konnte. Das ist freilich Unsinn, denn für die Klangqualität einer Aufnahme ist
in erster Linie die Aufnahmetechnik zuständig. Immerhin: Ab und an vermeint man hier tatsächlich
zu hören, wie transparent der Raumklang ist.
Chefdirigent Thomas Hengelbrock hat für diese erste Einspielung Brahms ausgesucht, den gebürtigen Hamburger. Das mag etwas überraschen, weil zur Vorführung akustischer Möglichkeiten vielleicht Ravel oder Richard Strauss geeigneter gewesen wäre. Doch das Bekenntnis gerade zu diesem Genius Loci ist nie falsch. Zu hören sind die dritte und die vierte Sinfonie, deren Interpretation die Schar der Rezensenten durchaus gespalten hat. Sie ist schlank und sehnig, wie man es vom Originalklangexperten Hengelbrock erwarten durfte. Ihr aber (wie im Deutschlandfunk) jegliches Herzblut abzusprechen und über einen vermeintlichen Verrat an der Romantik zu klagen, das ist weit übertrieben.
Natürlich zuckt man erst einmal zusammen, wenn die dritte Sinfonie mit ihrem raumgreifenden Melos anhebt und die Bögen mehr Klippen als Hügel malen. Doch die frischen, zupackenden Tempi, die straffe Artikulation schaden Brahms nicht, denn sie gehen einher mit gut kalkulierter Dramatik und sind alles andere als spannungslos. Viele Feinheiten werden in dieser Spaltklang-Akustik neu hörbar, was freilich und zwangsläufig die pastose Leuchtkraft der Mittelstimmen einschränkt. Gerade im zweiten Satz der dritten Sinfonie erreicht die gut aufgelegte NDR Elbphilharmonie dadurch aber ein reizvolles Misterioso. Auf andere Weise rätselhaft ist das langsame Tempo des berühmten dritten Satzes, doch warum sollte man den nicht einmal anders spielen? Im letzten Satz ist die bewusste Zurückhaltung zu Beginn förmlich zu greifen, bevor das schroffe Thema explosiv herausbricht.
Ähnliche Eindrücke ergeben sich in der vierten Sinfonie, der Hengelbrock einleitende Akkorde einer Fassung voranstellt, die selten gespielt wird. Diesmal überzeugt am meisten der dritte Satz mit seiner grimmigen Leichtigkeit, kraftvoll auftrumpfend, wie es dem neuen Wahrzeichen Hamburgs gebührt.
Johannes Killyen