Mendelssohn Bartholdy, Felix
Symphonies No. 1 c-Moll op. 11 & Nr. 5 d-Moll op. 107
Marcus Bosch und das Sinfonieorchester Aachen haben zum runden Geburtstag Felix Mendelssohn Bartholdys eine (nachkorrigierte) Liveaufnahme von zwei seiner Sinfonien vorgelegt. Man ist angesichts der konturierten Prägnanz und der homogenen Klanggebung des Aachener Orchesters einmal mehr überrascht, wie reich und vielfältig doch die deutsche Orchesterlandschaft ist. Auch die mittelgroßen Städte dürfen sich hierzulande in aller Regel eines heimischen Klangkörpers von hohen Graden erfreuen. Marcus Bosch, seit 2002 Generalmusikdirektor der Stadt Aachen, arbeitet hier allerdings mit einem traditionsreichen Orchester, das einst einmal so bedeutende Persönlichkeiten wie Fritz Busch, Herbert von Karajan und Wolfgang Sawallisch geprägt haben.
Lebendig und spannungsreich weiß Bosch die Ausdruckscharaktere im Allegro molto der c-Moll-Sinfonie zu zeichnen. Die drahtige Agilität seiner Musiker hat er dabei stets unter voller Kontrolle, alles Lärmende, wozu der Gestus dieses Satzes herausfordern könnte, versteht er auszublenden, ohne dabei die Impulsivität und die Artikulationsschärfe in irgendeiner Weise zu schmälern. Das Orchester bewältigt seine Lesart unangestrengt und mit der nötigen Flexibilität und mit einer Klanggebung, die immer plastisch und durchsichtig bleibt. Beachtlich ist auch die erreichte Balance im Andante zwischen den diesem Satz eingeschriebenen weich gerundeten lyrischen Melodiebögen (mit schmiegsamen, edlen Holzbläserfarben!) und den mit einer vibrierend aufgerauten Schraffur versehenen und kontrastierend dagegen gesetzten Passagen. Auch die geschmeidig aus alternierenden Streichergruppen heraus zu einer einheitlichen Klanglinie verblendeten Melodiebögen im Trio des ansonsten recht handfest angepackten Menuetto gereichen der bemerkenswerten Klangkultur der Aachener zur Ehre. Den temperamentvollen Zug des Finalsatzes versteht Bosch in ein klug gerastertes und differenziert ausgesteuertes Profil zu kleiden. Dessen drängenden und nervigen Impetus weiß er vor jeglicher Aufdringlichkeit zu bewahren, und selbst der Stretta am Schluss scheint er maßhaltende Zügel angelegt zu haben.
Nicht ganz so überzeugend gelungen ist demgegenüber die Darstellung der Reformations-Symphonie. Da irritieren schon in der Einleitung des Kopfsatzes die starken Crescendo- und Diminuendowölbungen über den Bläserakzenten, denen etwas Künstliches und Aufgesetztes anhaftet. Das Feuer im Fortgang dieses Satzes lässt Bosch nicht ganz so lodern, wie das denkbar wäre. Etwas buchstabiert und ohne die erstrebenswerte entspannte Spontaneität mutet die übergenaue Einhaltung des Metrums hier an. Rhythmisch sehr straff und scharf umrissen, aber dabei auch sehr transparent gehalten bekommt man das Allegro vivace zu hören. Den entwickelnden Prozess im Andante geht Bosch voller lebendiger Spannkraft an und kehrt in diesem Zusammenhang auch zur frühen, später von Mendelssohn wieder gestrichenen Flötenüberleitung zum Choralsatz Ein feste Burg ist unser Gott zurück. Am Finale kann man sich dann allerdings wieder nicht uneingeschränkt erfreuen. Der wünschenswerte feinnervige und feinschwingende Gestus wirkt hier zu steif, die polyfonen Strukturen dank
der Überpräzision etwas zu hölzern.
Thomas Bopp