Miloslav Kabelác
Symphonies Complete
Prager Radio Symphony Orchestra, Ltg. Marko Ivanovic
Es waren Orchesterwerke wie Mysterium der Zeit und Hamlet-
Improvisationen, die Kantate Euphemias mysterion und Otto invenzioni für Schlagzeugensemble, mit denen sich Miloslav Kabelác in die Prager Avantgarde der 1960er eingereiht hat und die ihn auch im Ausland bekannt machten. Ihre Titel sind Programm. Und die Spiegelungen für Orchester liefern en miniature ein Abbild von Kabelács kompositorischem Kosmos: Spiegelformen bei Strukturen und Verläufen; Dialoge mit der Neuen Musik; Reflexionen über den Zustand der Welt. Und ein Zitat aus den frühen Männerchören wird auch hier zum Motto: Ein jeder hat irgendwo sein Herz, auch wenn er es nicht bei sich trägt.
Nun hat Marko Ivanovic die Gesamteinspielung der acht Sinfonien von Miloslav Kabelác initiiert und stellt sie gemeinsam mit dem Prager Rundfunksinfonieorchester fulminant und faszinierend vor. Zwischen 1941 und 1970 geschaffen, spiegeln sie die Entwicklung des Künstlers ebenso wider wie sein Schicksal in schwerer Zeit. Geboren wurde Kabelác am 1. August 1909 in Prag. Nach dem Studium (Komposition, Dirigieren, Klavier) wirkte er ab 1932 als Dirigent und Tonregisseur am Rundfunk, den er 1941 aufgrund der Rassengesetze der deutschen Okkupanten verlassen musste. Komponieren konnte er danach nur unter Pseudonym. 1945 nahm er seine Arbeit wieder auf, gab als Erster Kurse für konkrete und elektronische Musik und bildete zwischen 1958 und 1962 am Prager Konservatorium eine Reihe progressiver Komponisten aus. Sein Schaffen wurde mit hohen Auszeichnungen geehrt, dann vielfach behindert, und die Reise nach Straßburg zur Premiere seiner Achten durfte er nicht antreten. Die letzte Uraufführung hat Kabelác 1973 in Pilsen erlebt: seine elektroakustische Komposition E fontibus bohemica, die er 1965 begonnen hatte. Am 17. September 1979 ist er in Prag gestorben.
Jede der acht Sinfonien besitzt ihre eigene Physiognomie hinsichtlich Satzzahl, Besetzung und Charakter. Attribute wie Kammersinfonie (4.), Dramatische (5.), Konzertante (6.) und Antiphonen (8.) benennen dies. Schlagzeug, Orgel, Sop-
ran-Solo, Solo-Klarinette, Rezitator oder Chor treten zum Orchester hinzu; Tonbandeinspielungen (6.) und Raumklang, der auch die Form bestimmt (8.), bereichern die Farbpalette. Und allen Werken gemeinsam ist die ständige Perfektionierung der Mittel, der intensive, fast appellartige Ausdruck, der nur selten Entspannung und Brillanz erfährt, und die zunehmende Semantisierung der Klänge mittels Zitaten aus der außereuropäischen, der böhmischen und der eigenen Musik, durch Allusionen auf Beethoven und Dvorák und mit Bibelworten der Warnung und der Zuversicht, die existenzielle Fragen des Menschen berühren. Die siebte Sinfonie ist mein musikalisches und philosophisches Credo.
Nun porträtieren diese Erstaufnahmen Miloslav Kabelác als den bedeutendsten tschechischen Sinfoniker nach Dvorák und Martinu. Und auch die geistige und musikalische Nähe zu seinem deutschen Zeitgenossen Karl Amadeus Hartmann ist zu erkennen
Eberhard Kneipel