Spohr, Louis

Symphonies 7 & 9 / Erinnerung an Marienbad

NDR Radiophilharmonie Hannover, Ltg. Howard Griffiths

Rubrik: CDs
Verlag/Label: cpo 777 746-2
erschienen in: das Orchester 07-08/2015 , Seite 75

Louis Spohr gehört zu den Verlierern der Musikgeschichte. Zu seiner Zeit war er der führende Geiger und Geigenpädagoge in Deutschland. Von 1822 bis 1857 war er Hofkapellmeister in der kurfürstlich-hessischen Residenzstadt Kassel, die er durch mustergültige Opernaufführungen, Konzerte und nicht zuletzt durch seine Autorität zu einem deutschen, ja europäischen Musikzentrum machte. Auf seinen vielen Reisen wurde er gefeiert, in England war ein Superstar. Man sagt, Paganini habe Orte gemieden, wo Spohr schon aufgetreten war.
Seit seinem Tod wurde es stiller und stiller um seine Werke. Nur wenige wie das Nonett und das Violinkonzert In Form einer Gesangsszene werden noch ab und zu gespielt. Insofern ist eine Gesamteinspielung aller zehn Sinfonien, entstanden zwischen 1811 und 1857, schon an sich ein Tat. Die Edition mit der NDR Radiophilharmonie Hannover unter Howard Griffiths, nach zahlreichen Lebensstation nun Chef des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt (Oder), ist nach der Aufnahme mit dem Orchestra della Svizzera Italiana unter Howard Shelley (Hyperion) schon
die zweite innerhalb weniger Jahre.
Schnell hat man heute für Spohr das Etikett „rückwärtsgewandt“ zur Hand. Hört man die zehn Sinfonien der Reihe nach, stellt man ein hohes Maß an Treue sich selbst gegenüber fest. Die Wertschätzung der Form und einer exakten, vielfarbigen, aber nie um des Effekts willen eingesetzten Instrumentation sind durchgängig zu spüren. Einige kompositorische
Details, die gelegentlich die Form eines Ticks annehmen, machen Spohrs Klangsprache unverkennbar.
Ist anfangs noch Mozart als Hausgott unüberhörbar, wird Spohrs Tonsprache ab der dritten Sinfonie romantischer. Feine Experimente mit Inhalten (Nr. 4 Die Weihe der Töne, Nr. 7 Irdisches und Göttliches im Menschenleben mit zwei einander originell gegenübergestellten Orchestern,
Nr. 9 Die Jahreszeiten) zeigen zudem den Experimentator, den viele Spohr heute nicht zutrauen. Er selbst sah sich als Neuerer, wie er in der sechsten, der Historischen Sinfonie, vorführt: Nach Sätzen im Stil von Händel, Mozart und Beethoven schließt sie mit der „Allerneuesten Periode 1840“, die unzweifelhaft nach einem Meister seiner Zeit klingt – nach ihm selbst.
Mit der fünften und letzten CD, die Louis Spohrs Sinfonien 7 und 9 enthält (welche nicht unbedingt die besten sind), hat sich Griffiths, der als „Instrument“ für seine Neugier in Sachen Spohr die Hannoveraner und das Label cpo gewinnen konnte, selbst ein Geschenk zum 65. Geburtstag gemacht. Der Dirigent spricht im Interview von einer Offenbarung, einer aufregenden Entdeckungsreise, die er von 2007 bis 2015 unternommen hat. Das Niveau der verdienstvollen Einspielung ist über alle Zweifel erhaben. Griffiths leitet die Hannoveraner, zu denen viele hervorragende Solisten gehören, zu einem leichten schwebenden Spiel an, das Mustergültigkeit für eine lange Zeit beanspruchen darf. Diese Edition ist eine Großtat!
Johannes Mundry