Ludwig van Beethoven

Symphonies 4/5

Wiener Symphoniker, Ltg. Philippe Jordan

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wiener Symphoniker
erschienen in: das Orchester 06/2018 , Seite 68

Nein, dieser Ludwig van Beethoven war kein gemütvoller, behäbiger Komponistenfürst. Er war ein aufbrausender, wilder, mit der Faust auf den Tisch schlagender Kerl. Das stellen Philippe Jordan und die Wiener Symphoniker mit den ersten Takten der Fünften mehr als klar. Ihr Beethoven haut mit dem berühmten DaDaDaDaaa einen Tonbrocken raus, dessen kantige Schärfe ankündigt, wie stark einem in der Folge die Ohren klingeln werden.
„Wie oft werden diese Achtelnoten breit genommen“, grenzt Jordan seine Interpretation von anderen ab. „Dabei müssen sie hämmern, eigentlich weh tun!“ Folglich wirkt die Fermate in Takt 20 (und jede spätere Wiederkehr) ebenso wie die ersten Einwürfe von Hörnern und Posaunen als Störfaktor in dem ausbrausend gestalteten Hauptthema. Dem setzt Jordan zudem das Seitenthema als zurückhaltenderen, nachdenklicheren Pol ent-gegen, das sich vorsichtig dem Hauptthema annähert, von diesem vereinnahmt und so kraftvoll übertrumpft wird, als risse es die Zögernden mit sich. Das Werk ist „keine Schicksals-, sondern eine Revolutionssymphonie“, begründet Jordan. „Wenn man die Metronomzahlen missachtet und den ersten Satz zu langsam und pathetisch spielt, wird es grundsätzlich falsch. Es geht um Rebellion, Aufbegehren und Wut!“
Nicht nur der erste Satz zieht die Hörer in einen wilden Strudel. Der emotionale, packende Gestus bleibt bis zum Finale: Jordan arbeitet die Widersprüche heraus, wobei er im dritten Satz auf die fünfteilige Urfassung zurückgreift, die ihm mehr Gelegenheit als spätere Varianten bietet, den Wi­derstreit zwischen der zögernden, manchmal gar verhuschten Atmosphäre des Seitenthemas und der heroischen Wucht des Hauptthemas zu gestalten. Das Finale schließlich wird bei ihm zum breit angelegten, freudigen Triumph, in dem sich die zögernden und impulsiven Momente vereinigen.
Nicht ganz so spektakulär geht Jordan die Vierte an. Auch hier setzt er auf Kontraste, eine schlanke Tongebung und Transparenz. Wie ein guter Redner lässt er die jede Motivvariation aufblühen und schließt sie mit dynamischer Raffinesse: ein Kunstgriff, der ihm hilft, das fast dialogische Hin und Her zwischen den einzelnen Gruppen des Orchesters herauszuarbeiten. Auch hier konstruiert Jordan keinen durchgängigen, glatten Fluss, sondern – um im Bild zu bleiben – einen Wasserlauf, der sich am Untergrund kräuselt, aufschäumt und vorwärts drängt.
Selbstverständlich interessiert Jordan auch das „Heitere, Lyrische, Schlanke“, das Robert Schumann an der Symphonie fasziniert hat. Andererseits sind „die immer wieder auftauchenden ernsten Momente… mindestens so wichtig wie die heiterere Fassade“. Dieser Einschätzung entsprechend, rückt er das Dramatische, das Widerstreitende, das stellenweise Eruptive in Beethovens Komponieren, sein Denken in Kontrasten, in Widersprüchen, in Spannungen ins Zentrum. Dass die Interpretationen der beiden Symphonien nicht in Baukastengruppen zerfallen, macht die Klasse der Einspielung von Philippe Jordan und den Wiener Symphonikern aus.
Werner Stiefele