John Pickard
Symphonies 2 & 6 / Verlaine Songs
Emma Tring (Sopran), BBC National Orchestra of Wales, Ltg. Martyn Brabbins
Alben des 1963 geborenen Komponisten John Pickard sind bis dato nur bei zwei Labeln erschienen: Toccata Classics und BIS Records, wobei Toccata sich eher auf die Kammermusik und BIS sich auf die Orchestermusik des Briten konzentriert hat. Die Sinfonien Nr. 4 („Gaia Symphony“, 1991–2003, BIS 2061) und Nr. 5 (2014, BIS 2261) sind bereits 2014 bzw. 2017 veröffentlicht worden. Nun haben der Dirigent Martyn Brabbins und das BBC National Orchestra of Wales für das schwedische Label auch Pickards Sinfonie Nr. 2 (1985–1987) und Nr. 6 (2021) eingespielt und diese beiden Werke mit seinen sechs Verlaine Songs (2019–20) kombiniert, die hier in der 2022 entstandenen Version für Kammerorchester zu hören sind und die Pickard zwei Jahre später für Sopran, Violine und Klavier bearbeitet hat. An das hohe Niveau der Vorgänger-Alben schließt das vorliegende locker an – und das ist vor allem Brabbins und dem hervorragend disponierten walisischen Klangkörper zu verdanken, die auch schon die Aufnahme von Pickards fünfter Sinfonie bestritten hatten.
Die Sinfonien 2 und 6 könnten in ihrer musikalischen Aussage unterschiedlicher kaum sein. Was sie allerdings verbindet, ist Pickards untrüglicher Sinn für Dramaturgie, Orchestrierung und Klangfarben sowie für eine emotionale Dringlichkeit der – nie platt programmatisch vorgetragenen – Botschaften, die die Werke transportieren. Im von ihm selbst verfassten Booklet-Text erläutert Pickard, dass er die Idee zu seiner 2. Sinfonie von einem Buch über Hiroshima erhielt, in welchem beschrieben wurde, wie sich die Vegetation im Epizentrum der Atombomben-Explosion von 1945 schon nach kurzer Zeit wieder ausbreitete. „Das grundlegende Bild des Wiederauflebens der Natur unter den verheerendsten Umständen war ausreichend, um die Komposition anzuregen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass sie nie als illustrative Musik gedacht war.“ Dem hoch suggestiven Werk gelingt es, den Aspekt des „wilden“ vegetativen Wucherns in rein musikalische Prozesse und Strukturen zu verwandeln und den Hörer damit 26 Minuten lang zu fesseln, auch wenn sich einige Verfahren „in the long run“ etwas wiederholen. Die Entstehungszeit der formal (noch) reiferen Sinfonie Nr. 6 fällt in den Höhepunkt der Covid-19-Pandemie und reflektiert den Lockdown und seine Folgen, wobei vor allem der grüblerische zweite Satz unter die Haut geht.
Die Verlaine Songs schrieb Pickard für die auch hier agierende Sopranistin Emma Tring „im Hinblick auf ihre besonderen stimmlichen Eigenschaften“ (Booklet). Diese meist freitonalen, dramaturgisch aufeinander abgestimmten und eine große emotionale Spannbreite – von schmachtend bis urkomisch – umfassenden Lieder bilden einen in sich geschlossenen Zyklus, der die tiefe Sprach-Musikalität von Verlaines Gedichten kongenial abbildet. Das Album macht eindringlich deutlich, dass John Pickard einer der großen Komponisten unserer Zeit ist.
Burkhard Schäfer