Henze, Hans Werner

Symphonies 2 & 10

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 6725 2
erschienen in: das Orchester 06/2014 , Seite 72

Mit der Zweiten und der Zehnten legte Wergo die fünfte und letzte CD der Gesamteinspielung von Hans Werner Henzes Sinfonien vor. Der lange erwartete Abschluss dieser Serie fiel mit dem 75. Geburtstag von Marek Janowski und mit der Verleihung des Preises der deutschen Schallplattenkritik an den „ungeheuer vielseitigen Dirigenten“ zusammen: für seine Henze-Einspielungen und seinen „kompromisslosen Kampf für Qualität“. Und das verweist auch auf den Referenz-Charakter dieser Aufnahmen mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin: klanglich hochkarätige, musikalisch tieflotende, feinsinnige und engagierte Interpretationen. Henzes sinfonisches Panorama ist erstmals in ganzer Größe zu erleben: zehn zu „Sinfonien erklärte Orchesterstücke, die jene großen Formen versuchen, die unsere Tradition als Gefäße für das Weiteste und Höchste der absoluten Musik zu betrachten uns gelehrt hat“. Die Werke dieser CD wirken da wie markante Eckpunkte: Musik des Aufbruchs; Musik des Abschieds…
Die 2. Sinfonie, die am 1. Dezember 1949 in Stuttgart vom Sinfonie-Orchester des Süddeutschen Rundfunks unter Hans Müller-Kray uraufgeführt wurde, ist Henzes erste groß besetzte Zwölftonkomposition. Der flexible Umgang mit Tönen und Klängen, die luzide Farbigkeit und das expressive Melos der Ecksätze erinnern an Alban Bergs Ausdruckskraft; die rhythmische Passacaglia und die Spiegelform des Mittelsatzes folgen der strengen Anlage des Berg’schen Kammerkonzerts. Henzes „graue, düstere Wintermusik“, in der „das Erlebnis des Krieges angefangen hatte, in meiner Musik auf Antwort zu drängen“, erhält mit Blechbläser-Jubel und dem Choral Wie schön leuchtet der Morgenstern einen zuversichtlichen Schluss.
Auch die Sinfonia N. 10, im Auftrag von Paul Sacher entstanden und am 17. August 2002 anlässlich der Internationalen Musikfestwochen Zürich durch das City of Birmingham Symphony Orchestra unter Simon Rattle in ihrer kompletten Version aus der Taufe gehoben, mutet wie ein Werk der „Befreiung“ an: Abkehr vom alten Aberglauben, „wonach die Neunte und Zehnte das Maximum von Gefahr für das seelische und physische Gleichgewicht ihres Verfassers mit sich bringen“, vom Vorbild Beethoven und vom Schmerz und der Trauer der eigenen „Neunten“, die nicht zum schicksalhaften Schlusspunkt werden sollte. Die deutlich „vereinfachte Konstruktion“ leitet – Peter Petersen zufolge – aus der Zahl „vier“ Satzfolge, Besetzung und Tonreihenstruktur ab. Die Sätze „Ein Sturm“, „Ein Hymnus“, „Ein Tanz“ und „Ein Traum“ sind virtuos und beziehungsreich durchkomponierte, kontrastvoll und üppig ausgemalte Charakterstücke für großes Orchester (1 und 4), für Streicher (2) und für Bläser, Schlagzeug und Kontrabässe (3). Und die Welt der Klänge entfernt sich – nicht erst mit dem gran canto im Schlusssatz – ganz weit „von den Schrecken und Kümmernissen der Zeit, in der wir leben und sterben müssen und zu der einem wie mir nichts anderes mehr einfällt als die Ablehnung, die Abwendung, die Absage, der Abgesang, der Abschied“.
Eberhard Kneipel