Johannes Brahms

Symphonies 1-4

Wiener Symphoniker, Ltg. Philippe Jordan

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wiener Symphoniker
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 73

Welch ein Abschied von den Wiener Symphonikern! Seit 2014 leitete Philippe Jordan sie als Chef­dirigent, ab der Saison 2021/22 wird er als Musikdirektor an die Staats­oper in Wien wechseln.
Nach Abschluss seines Beethoven-Zyklus legt er nun eine Ge­samteinspielung der Brahms-Sinfo­nien vor, eingespielt im Goldenen Saal des Musikvereins – da, wo Hans Richter einst die zweite und dritte uraufgeführt hat, sozusagen den Genius Loci nutzend.
Der Schweizer Dirigent hat sich intensiv mit den Sinfonien und ih­rem Kontext auseinandergesetzt, wie man dem lesenswerten Booklet entnehmen kann. Das Ergebnis kann sich hören lassen. Es ist ein Bruch mit manch Gewohntem und (durchaus) Liebgewonnenem. Den bärbeißigen und schroffen Brahms sucht man in Jordans Interpretatio­nen vergebens, auch gleißendes Pa­thos und romantischer Überschwang haben bei ihm keinen Platz.
Das „innere Singen“ hat für Jordan oberste Priorität, das Aus­spielen auch der kleinsten Noten, die Sinnlichkeit der Partituren. So nimmt er die Anweisungen des Komponisten ernst, wählt fließende Tempi, verzichtet auf die üblichen Rubati und beachtet streng Brahms’ dynamische Angaben: Ein Forte – etwa zu Beginn der 1. Sinfonie – ist nun einmal kein Fortissimo, Schluss-Apotheosen in den Finali (natürlich außer bei der Dritten) bleiben Fortissimi und geraten nicht „so laut wie möglich“.
Ergebnis ist ein entschlackter, ja entspannter und schlanker Brahms ohne Erdenschwere und symphonische Wucht. Philippe Jor­dans Stärke liegt in der Unaufge­regtheit der Brahms-Interpretation, in der Eleganz im Klang, dem orga­nischen Voranschreiten im Forma­len und der Kantabilität im Kleinen wie Großen.
Als kongeniale Partner stehen ihm dabei die Wiener Symphoniker mit rundem und geschmeidigem Klang zur Seite. Die Streicher, ins­besondere die tiefen, überzeugen mit einem sonoren und warmen Sound und die Holzbläser mit Deli­katesse in geradezu kammermusi­kalischem Zusammenspiel; zudem verzichtet das Blech auf schmet­ternde Attitüde, bleibt allzeit zivilisiert und geradezu angenehm „soft“.
All dies beschert eine in ihrer Schlichtheit ergreifende Interpreta­tion, klassisch inspiriert und stim­mig. Das Gesamt-Klangbild gerät warm, strukturiert und gut durch­hörbar. So gelingt den Wiener Sym­phonikern ein würdiges Finale für ihren langjährigen Chefdirigenten Philippe Jordan.
Wolfgang Birtel