Johannes Brahms
Symphonies 1-4
Wiener Symphoniker, Ltg. Philippe Jordan
Welch ein Abschied von den Wiener Symphonikern! Seit 2014 leitete Philippe Jordan sie als Chefdirigent, ab der Saison 2021/22 wird er als Musikdirektor an die Staatsoper in Wien wechseln.
Nach Abschluss seines Beethoven-Zyklus legt er nun eine Gesamteinspielung der Brahms-Sinfonien vor, eingespielt im Goldenen Saal des Musikvereins – da, wo Hans Richter einst die zweite und dritte uraufgeführt hat, sozusagen den Genius Loci nutzend.
Der Schweizer Dirigent hat sich intensiv mit den Sinfonien und ihrem Kontext auseinandergesetzt, wie man dem lesenswerten Booklet entnehmen kann. Das Ergebnis kann sich hören lassen. Es ist ein Bruch mit manch Gewohntem und (durchaus) Liebgewonnenem. Den bärbeißigen und schroffen Brahms sucht man in Jordans Interpretationen vergebens, auch gleißendes Pathos und romantischer Überschwang haben bei ihm keinen Platz.
Das „innere Singen“ hat für Jordan oberste Priorität, das Ausspielen auch der kleinsten Noten, die Sinnlichkeit der Partituren. So nimmt er die Anweisungen des Komponisten ernst, wählt fließende Tempi, verzichtet auf die üblichen Rubati und beachtet streng Brahms’ dynamische Angaben: Ein Forte – etwa zu Beginn der 1. Sinfonie – ist nun einmal kein Fortissimo, Schluss-Apotheosen in den Finali (natürlich außer bei der Dritten) bleiben Fortissimi und geraten nicht „so laut wie möglich“.
Ergebnis ist ein entschlackter, ja entspannter und schlanker Brahms ohne Erdenschwere und symphonische Wucht. Philippe Jordans Stärke liegt in der Unaufgeregtheit der Brahms-Interpretation, in der Eleganz im Klang, dem organischen Voranschreiten im Formalen und der Kantabilität im Kleinen wie Großen.
Als kongeniale Partner stehen ihm dabei die Wiener Symphoniker mit rundem und geschmeidigem Klang zur Seite. Die Streicher, insbesondere die tiefen, überzeugen mit einem sonoren und warmen Sound und die Holzbläser mit Delikatesse in geradezu kammermusikalischem Zusammenspiel; zudem verzichtet das Blech auf schmetternde Attitüde, bleibt allzeit zivilisiert und geradezu angenehm „soft“.
All dies beschert eine in ihrer Schlichtheit ergreifende Interpretation, klassisch inspiriert und stimmig. Das Gesamt-Klangbild gerät warm, strukturiert und gut durchhörbar. So gelingt den Wiener Symphonikern ein würdiges Finale für ihren langjährigen Chefdirigenten Philippe Jordan.
Wolfgang Birtel