Louise Farrenc

Symphonies 1 & 3

Insula orchestra, Ltg. Laurence Equilbey

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Erato
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 75

Offenbar sind Partituren der Französin Louise Ferranc (1804-1875) auf dem besten Weg, sich vor allem durch ihre hohe Qualität ohne Quotenanspruch für komponierende Frauen im Repertoire zu etablieren. Nach der NDR Radiophilharmonie unter Johannes Goritzki vor über zwanzig Jahren lässt Laurence Equilbey mit dem Insula orchestra zwei von drei Sinfonien der nach ihrem Tod als Komponistin bis Ende des 20. Jahrhunderts vergessenen Farrenc folgen. Wie bei Werken Clara Schumanns zeichnet sich auch hier eine Kontinuität der Auseinandersetzung ab. Das ist sicher noch keine angemessen große Bereicherung der Diskografie im Vergleich mit Werken männlicher Komponisten, die wie Beethoven in knappen Zeitabständen mit Neueinspielungen eines Werks gewürdigt werden. Aber zweifellos ist Farrenc aus der absoluten Raritäten-Nische heraus.
Als erste Klavierprofessorin am Conservatoire konnte Farrenc dank der intensiven Unterstützung ihres Ehemannes, des Musikverlegers Aristide Farrenc, ihre Position in der gegenüber Künstlerinnen skeptischen Kulturmetropole Paris stärken. Sie orientierte sich eher an Beethoven, Schubert und Mozart als an Bellini, Chopin und Liszt. Diese ästhetische Linie hatte Farrenc mit Clara Schumann gemeinsam, während die fast gleichaltrige Louise-Angélique Bertin mit ihrer Oper Notre Dame de Paris, für die Victor Hugo seinen Roman als Libretto einrichtete, ein dramatisches Monument gegen die Stigmatisierung von Frauen als Hexen und Verführerinnen komponierte.
Equilbey motiviert das Insula orchestra zu einer elegant-weichen Haltung und feiert Farrencs Kompositionen als Manifestationen des Schönen. Das Resultat ähnelt Einspielungen von Mendelssohn-Sinfonien, deren Dirigenten die durchaus vorhandene innere Dramatik scheuen. Equilbey hatte bei ihrer Einspielung von Webers Freischütz dessen raues Werkkolorit und bizarre Sturm-und-Drang-Farben betont, überdies mit der Wiedergabe auf Originalinstrumenten schroffe und überraschende Effekte erzielt. Bei Farrenc zeigt sie diesen Entdeckungseifer betreffend geschärfter Konturen nicht. Dabei wäre es bei der sich verdichtenden Auseinandersetzung mit den Partituren Farrencs spannend zu hinterfragen, inwieweit die Komponistin hinter ihrer beeindruckenden Satztechnik latente Botschaften, widerspenstige Reibungen oder koloristische „Störfaktoren“ gesetzt hat. So erscheinen die Instrumentationsentscheidungen von Farrenc, die bei Reicha studiert hatte, ohne Turbulenzen durch Reibungsantriebe oder Oppositionsenergie.
Das Insula orchestra bestätigt den kultivierten Schöngeist einer kreativen Persönlichkeit, die sich auf dem Aufführungsmarkt nicht mit Originalität behaupten und auch nicht im Spannungsfeld zwischen Broterwerb und künstlerischem Anspruch agieren musste. Farrencs Kompositionen werden in dieser rundum homogenen, engagierten Wiedergabe also zu Paradigmen einer gewinnenden Meisterschaft des musikalischen Satzes, dessen Grundlagen ihr bewunderns­wertes Können und die Kenntnis der Musik ihrer Zeit waren.
Roland Dippel