Ludwig van Beethoven

Symphonies 1, 2, 7

Kammerakademie Potsdam, Ltg. Antonello Manacorda

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony classical
erschienen in: das Orchester 04/2023 , Seite 67

Bei jeder Neueinspielung von Beethoven-Symphonien stellt sich die Frage: Brauchen wir sie, ist sie eine Bereicherung des bestehenden umfangreichen Angebots? Im vorliegenden Fall, dem Start einer neuen Gesamtaufnahme, kommt Ratlosigkeit auf: Ein exzellentes Kammerorchester von überregionalem Ruf stellt sich mit Engagement und großer Präzision der Herausforderung und damit dem Vergleich mit der illustren Konkurrenz. Und doch ist das Ergebnis nicht so, dass es neue Erkenntnisse über diese Werke und ihre Interpretation vermittelte.
Gerne würde man erfahren, wie das Ensemble besetzt ist, vor allem wie viele Streicher:innen mitwirken. Das Booklet gibt leider keine Auskunft zur Orchesterformation, man kann sich die Anzahl der Violinen oder der übrigen Streicher nur anhand der in der Partitur enthaltenen obligaten Bläserstimmen ausrechnen. Das hörbare Ergebnis übermittelt jedenfalls ein häufiges Übergewicht der Bläser; die Streicher klingen dünn und ziemlich spröde. Man ertappt sich dabei, dass man sich ein wenig karajansche Klangsinnlichkeit zurückwünscht, auch wenn sie vielleicht nicht „historisch korrekt“ war. Die Tontechnik dämpft das Streicher-Pianissimo bisweilen bis fast zur Unhörbarkeit, etwa zu Beginn des langsamen Satzes der Siebten. Im Forte bei Tuttipassagen lässt man es dagegen kräftig krachen.
Insgesamt stellt sich oft der Eindruck eines gleichförmigen, eher metronomgesteuerten, ein wenig atemlosen Musizierens ein. Man lässt sich kaum Zeit für Übergänge oder zumindest gelegentliche agogische Freiheiten. In schnellen Sätzen nähert man sich bisweilen der Grenze hörender Nachvollziehbarkeit (Scherzo und Finale der Siebten), auch wenn natürlich alle notierten Töne gespielt werden; die spieltechnische Perfektion des Orchesters steht außer Zweifel.
Es drängt sich (nicht zum ersten Mal!) die Frage auf: Hat Beethoven seine Symphonien wirklich so rigoros gemeint, so unnachgiebig und streng in Tempo, Rhythmik und Agogik und zugleich so aufgeraut in ihrer Klanglichkeit, wie sie hier geboten werden (und wie es heute üblich ist)? Ein direkter Vergleich mit den über 30 Jahre alten Aufnahmen von Nicolaus Harnoncourt zeigt, bei aller Nähe des Interpretationskonzepts, bei kleiner Besetzung und historischer Korrektheit, dass trotzdem mehr Wärme, Balance und emotionale Klanglichkeit möglich sind. Es fällt schwer, diese Neuaufnahmen gerecht einzuordnen, denn das spieltechnische Niveau ist, wie gesagt, sehr hoch, das Engagement beim Musizieren unbestreitbar. Im Booklet gibt es ein langes Interview mit dem Dirigenten. Darin wird ausdrücklich die Diskussionskultur innerhalb des Ensembles betont. Nur: Warum klingen die Aufnahmen so, als stehe eher ein Dompteur als ein musikalischer Partner am Dirigentenpult? Wie gesagt: Ratlosigkeit, zumindest beim Rezensenten.

Arnold Werner-Jensen