Franz Schubert

Symphonien Nos. 2 & 3/ Des Teufels Lustschloss/ Alfonso und Estrella

Kammerorchester Basel, Ltg. Heinz Holliger

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical
erschienen in: das Orchester 05/2021 , Seite 80

Brahms hielt nicht viel von Schuberts frühen Sinfonien. Diese Beurteilung war keiner selbstherrlichen und anmaßenden Vermessenheit eines beliebigen Musikers geschuldet, da redete einer vom Fach, denn Brahms redigierte Mitte der 1880er Jahre für den Verlag Breitkopf & Härtel die Herausgabe des ersten Bands der Alten Gesamtausgabe von Schuberts Werken, und dieser erste Band galt den ersten vier frühen Sinfonien. Er war der Meinung, solche „Arbeiten oder Vorarbeiten sollten nicht veröffentlicht werden, sondern nur mit Pietät bewahrt“ werden, wie er 1884 an Breitkopf & Härtel schrieb.

Brahms’ Auffassung blieb ohne Konsequenz und hat nichts daran geändert, dass aus heutigem Blickwinkel betrachtet auch möglicherweise noch gänzlich unfertige Werke zum Gesamtbild, das man sich von einem Komponisten macht, einfach unabdingbar dazu gehören. Das zeigt auch Heinz Holliger, der sich mit dem Kammerorchester Basel der beiden Sinfonien Nr. 2 D 125 und Nr. 3 D 200 in einer bestechend präzisionsbewusst ausformulierenden Herangehensweise angenommen hat, als gälte es, hier Meisterwerke Schuberts vorzustellen.

Es sind indessen Kompositionen eines gerade einmal Achtzehnjährigen, der aber bei aller vergleichsweise unkomplizierten Schreibweise bereits ein untrügliches Gespür für feine Orchesterfarben beweist, denn Schuberts diffizile Beherrschung der Instrumentation mit ihren Aufteilungen der Holzbläser ist aller Bewunderung wert. Und überhaupt, auch die melodische Erfindung, die Suche nach einem unterschiedliche musikalische Ebenen zulassenden Ausdrucksgehalt in diesen frühen Werken ist durchaus beachtlich. Da scheint Brahms’ Urteil wohl doch etwas überzogen zu sein.

Heinz Holliger vermag – etwa im Kopfsatz der D-Dur-Sinfonie D200 – die gegeneinander gesetzten Ausdrucks­ebenen mit dem vorzüglich agierenden Kammerorchester Basel lebendig und spannungsreich abzubilden, und er versteht es, die einzelnen Orchestergruppen sehr sensibel auszubalancieren und dynamisch zueinander zu gewichten. Sein auf bestechende Durchhörbarkeit hin ausgerichteter Ansatz dringt in die Tiefe und fördert dort eine kompositorische Faktur zutage, die diese frühen Werke zweifelsohne beträchtlich aufzuwerten vermag.

Doch Holliger scheut sich auch nicht – so im Finalsatz der B-Dur Sinfonie D 125 –, Schuberts musikalischer Gedankenwelt voller Kontrastierungsabsicht eine auch einmal betont schroffe Modellierung zu verpassen. Und recht schroff lässt er das Kammerorchester Basel auch in die den beiden Sinfonien beigegebene Ouvertüre zu Schuberts frühester (1813/14) vollendeter Oper Des Teufels Lustschloss D 84 hineinfahren, deren erster dissonanzgeschärfter Akkord zu Beginn den Hörer aufschreckt und die Erwartungshaltung erhöht. So betont griffig angepackt, weiß er aber doch andererseits deren sanglichen Inseln voller Stimmigkeit und Atmosphäre weiten Raum zu geben. Mit impulsiver Agilität arbeitet er wiederum den dramatischen Gestus in Schuberts Ouvertüre zu Alfonso und Estrella D 732 heraus.

Thomas Bopp