Schumann, Robert
Symphonien 1–4
Die Berliner Philharmoniker spielen Schumanns Sinfonien. Das ist eine, aber sicher nicht die überraschendste Botschaft dieser Veröffentlichung, denn Schumann gehört seit Jahrzehnten zum Standardrepertoire des bekanntesten deutschen Orchesters. Erstaunlich ist vielmehr, dass die Philharmoniker mit dieser von Simon Rattle geleiteten Einspielung den sehr ernst gemeinten Versuch unternehmen, sich von den großen CD-Labels zu emanzipieren. Wir haben es mit der ersten Aufnahme des nagelneuen Labels Berliner Philharmoniker Recordings zu tun also durchaus ein historisches Ereignis.
Hintergrund ist die Flatterhaftigkeit großer CD-Labels, die, so Simon Rattle, fast wöchentlich ihre Politik ändern und große Orchester oft genug zu Begleitkapellen für Nachwuchsstars degradieren. Wie auch schon die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker dokumentiert das eigene Label nun den Willen des Orchesters, sich von der medialen Entwicklung nicht überrollen zu lassen, sondern diese selbst zu gestalten. Über Geschmack kann man wie immer streiten und muss auch die Vase auf der Vorderseite dieses CD-Pakets nicht unbedingt schön finden. Sie erinnert an ein tätowiertes Frauengesäß und stammt aus der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin, die für ihre finanzielle Unterstützung ein exzellentes Product Placement erhält.
Ganz sicher aber macht der Schuber außen und innen etwas her: Neben zwei klassischen Ton-CDs gibt es die Sinfonien auf Audio- und Video-Blu-ray und dazu noch ein Sieben-Tages-Ticket für die Digital Concert Hall. Alle Mitglieder des Orchesters sind im Begleitheft aufgeführt. Und die anderen Texte bieten knapp, prägnant und informativ Wesentliches zu den Werken und ihrer Interpretation.
Martin Demmler sieht in den Sinfonien Schumanns eine deutliche Abkehr von der romantischen Phase des Komponisten mit ihrer frei schweifenden Fantasie und der intendierten Einheit von Leben und Werk. Mit den Sinfonien, so der Autor, habe Schumann eindeutig finanzielle Erwägungen verbunden. Stilistisch stellt er sie mehr in die klassische als in die romantische Tradition. Darüber lässt sich sicher trefflich streiten. Fakt ist aber, die klassische Klarheit bestimmt auch die Interpretation von Simon Rattle, und das tut der dichten Instrumentation Schumanns (die wiederum ein Musterbeispiel romantischen Mischklangs ist) durchaus gut.
Die Berliner Philharmoniker spielen gleichsam entschlackt, mit dem gewohnt wunderbar seidigen Streicherklang und im Klangbild zumeist strahlend hell. Es leuchten die Holzbläser und blitzen die Trompeten, vor allem in der ersten, der Frühlingssinfonie. Das Scherzo der zweiten Sinfonie gelingt klar und zupackend, die Dynamik ist dabei recht kleinteilig angelegt, die Rubati sehr deutlich. Überirdisch schön: der langsame Satz der gleichen Sinfonie. Ähnlich klar lässt Rattle die Ecksätze der dritten Sinfonie spielen, die anderen sind eher gewöhnlich. In der vierten Sinfonie explodiert der letzte Satz regelrecht. Die Schumann-Edition ist ein würdiger Auftakt für das mutige Projekt des eigenen Labels.
Johannes Killyen