Franz Schubert

Symphonie Nr. 9 C-Dur „Die Große“

Philharmonia Zürich, Ltg. Fabio Luisi

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Philharmonie Records PHR 0111
erschienen in: das Orchester 09/2020 , Seite 90

Februar 2019 unterzog die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Fabio Luisi Franz Schuberts C-Dur-Sinfonie D 944 von 1825 musikalisch einer neuen Bewertung. In Summa: zupackend, energiegeladen, forsch, feurig und kraftvoll im klanglich hervorragenden Gewande und einer voll ausgelasteten, tonschönen Oboe. Alles Eigenschaften, die keine Langeweile zulassen. Doch trifft das die Intention des Komponisten? Bereits die noch moderat beginnende, langsame Einleitung beschleunigt bald beinahe unmerklich zur schnellen Exposition, der Übergang vom Viertelpuls zum Allabreve gelingt bestens. Und noch einmal zieht Fabio Luisi das Tempo mit Beginn des zweiten Seitenthemas und entsprechend in der Reprise deutlich an. Hier herrscht indes eine gewisse Atemlosigkeit, die Anstrengung der Musiker ist deutlich zu hören.
Die straffen Zügel werden erst im Durchführungsteil wieder etwas lockerer und geben Zeit zum Durchatmen. Die Coda, die Schubert gerne auch in anderen Instrumentalwerken mit „Più mosso“ überschreibt, möchte erst hier erstmals ein rascheres Tempo. Luisi strafft besagte Zügel erneut und jagt nun das Orchester durch die Partitur. Aber er lässt den Orchesterferrari nicht zerschellen wie später Nikolai Rimsky-Korsakow das Schiff am Magnetfelsen in der Scheherazade, sondern bremst das Orchester ab nach Art von Arthur Honeggers Pacific 231. Kaum erholt, zieht Luisi das Tempo auch im Andante „con“ sehr viel „moto“ an. Das eigentlich herrliche, leicht melancholische Oboensolo gestaltet sich wie durchgereicht und zu tänzerisch, feinsinniger Lyrismus kommt dabei wenig auf. Vor Erklingen des wiederkehrenden Themas baut der Dirigent jeweils eine Wimpernschlag-Zäsur ein. Ungewöhnlich die lange Generalpause in Takt 250, vor allem überraschend die darauffolgenden 16 Takte, die bis zum Tonartwechsel auf etwa die Hälfte verlangsamt werden, um dann ins erste Tempo zurückzukehren, welches insgesamt wenig Ruhe ausstrahlt.
Das Scherzo kommt kraftvoll daher, wenn auch im Trio das Blech etwas zu massig auftritt. Die Klangbalance erscheint hier nicht so ganz ausgewogen, die dynamischen Vorgaben hätten noch mehr ausgekostet werden können. Zupackend nach Art eines Beethoven’schen Finale mit viel Biss erklingt das Schubert’sche Finale nach dessen Wunsch mit Wiederholung. Dabei schießt Luisi bei aller Leidenschaft und starkem Gestaltungswillen zeitweise über das Ziel hinaus. Merkwürdig wirken die in voller Fahrt bewusst retardierenden Temposchwankungen in der Coda ab Takt 1057. Schubert wetterte schon zu Lebzeiten gegen solches Vorgehen, da er einen fortlaufenden Fluss der Melodie wünschte. Krass dann die Zurücknahme der beinahe einstündigen Musik im finalen Akkord, der mit einem Decrescendo im Pianissimo endet. Hier folgt Fabio Luisi der Auffassung Nikolaus Harnoncourts, doch steht gerade dieser „Kraftbalken“ für ein volles Fortissimo.

Werner Bodendorff