Mahler, Gustav
Symphonie Nr. 8
Im Mahler-Zyklus mit dem Kölner Gürzenich-Orchester unter Markus Stenz liegen nun alle großen Sinfonien mit Vokalteil vor, nach der zweiten und dritten auch die achte, das am größten besetzte Werk des Komponisten, das 1910 in München uraufgeführt wurde und der größte öffentliche Erfolg Mahlers als Komponist war. Die vorliegende Aufnahme entstand als Mitschnitt von Konzerten in der Kölner Philharmonie im September 2011, also gut 101 Jahre nach der Uraufführung.
Ob es in Köln auch tausend Mitwirkende waren wie in München oder nicht: Was Markus Stenz in keiner Weise und in keinem Takt bietet, ist eine Materialschlacht und ein haltloser Klangrausch. Ganz im Gegenteil: Schon die eröffnende Exposition des “Veni Creator Spiritus” klingt klar gefasst, ja fast schlicht. Die Haltung des Dirigenten ist überlegen und erscheint fast schon unaufgeregt. Doch Stenz weiß immer genau, wo etwa an formalen Schnittstellen deutliche Akzente hingehören oder wo durch sprechende Agogik und Dynamik die Höhepunkte besonders bezeichnet werden können. So verlangsamt er zum Beispiel im ersten Satz wie weiland Leonard Bernstein, der sonst eine ganz andere Auffassung von dem Stück hatte, das Tempo vor dem Einsatz der Reprise deutlich, um das erneute “Veni Creator” zum befreienden Ausruf zu machen.
Solch bedeutungsintensiver Momente sind viele in dieser Interpretation, aber ebenso auch ganz viele feiner Ausarbeitung lyrischer und kammermusikalischer Stellen, die dabei eine geradezu liedhafte Anmut entfalten. Es ist gerade im Wechsel von Zuspitzung und Entspannung eine Mahler-Deutung von großer Überzeugungskraft. Sie hat, das nicht zuletzt macht sie so spannend, eine eigene Note. Aber nicht im Sinne subjektiver Ausdruckshaltung, sondern im Sinne besonderer Verdeutlichung der Form.
Die Kölner Aufführung, die hier dokumentiert ist, versammelt ein ausgezeichnetes Solistenensemble mit Barbara Havemann, Orla Boylan, Christiane Oelze, Anna Palimina, Petra Lang, Maria Radner, Brandon Jovanovich, Hanno Müller-Brachmann und Günther Groissböck. Mit den Mädchen und Knaben der Chöre am Kölner Dom, dem Vokalensemble Kölner Dom, der Domkantorei, dem Chor des Bach-Vereins Köln, der Karthäuserkantorei Köln und dem Philharmonischen Chor der Stadt Bonn agiert eine sozusagen ökumenische Singgemeinschaft, die sonst im geistlichen und oratorischen Bereich wirkt und eben nicht, wie bei Opernchören, im Theater. Das passt zur Grundhaltung der Interpretation sehr gut und gibt den Chorpartien ein klares und schlüssig aufgefächertes Profil.
Der sehr fließenden Zeitmaße wegen passt das gesamte Werk auf eine CD. Die Tontechnik ist exzellent und sorgt bei dieser Aufnahme auch bei der größten Massierung der Kräfte immer für einen plastischen und im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtigen Klang. Was die anderen Mahler-Aufnahmen aus Köln schon andeuteten, bestätigt sich auch hier: Dieser Zyklus ist einer der wichtigsten unserer Zeit.
Karl Georg Berg