Gustav Mahler

Symphonie Nr. 7

Bayerisches Staatsorchester, Ltg. Kirill Petrenko

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Bayerische Staatsoper Recordings BS
erschienen in: das Orchester 12/2021 , Seite 77

Die Nummer Eins des neuen eigenen Labels der Bayerischen Staatsoper spielt sofort auf einem schwindelerregend hohen Spitzenrang. Das ist angesichts der allein in München entstandenen Mahler-Referenzaufnahmen von Rafael Kubelik bis Mariss Jansons eine weitere Großtat.
Kirill Petrenko setzte in den Akademiekonzerten am 28. und 29. Mai 2018 mit dem mehrfach als Opernorchester des Jahres ausgezeichneten Klangkörper dazu an, eher das Melodische als das Kantig-Spröde auf Instrumenten zu ersingen. Kleinteiligkeit der motivischen Strukturen und große Bögen, kollektiver Glanz und konzentrierte Gestaltung der Einzelstimmen ereignen sich hier in dem 1908 in Prag uraufgeführten Riesenwerk immer gleichzeitig und übereinander. Dieses oft als melancholisch und abgründig bezeichnete „Lied der Nacht“ leuchtet mit bronzener, satter, auch in Übergängen nicht ausgesetzter Schönheit aus einem unverwechselbar rhapsodischen, transparenten und deshalb kosmischen Musizierverständnis.
Trotzdem, auch das ist eines der nicht wenigen Wunder bzw. Verwunderungen dieses Mitschnitts, spürt und hört man die Zerrissenheit von Mahlers diatonischen Akkordverbindungen, allerdings ohne leichtfertig herbeizitierte Auszehrungen und Kargheiten. Petrenko und das Bayerische Staatsorchester zelebrieren Fülle und Überfülle ohne Sättigung. Diese Ambivalenz von nur ansatzweise verdüsterter Schönheit und sehnsuchtsvoller Weite beinhaltet alle künstlerischen wie mutig persönlichkeitsstarken Voraussetzungen für einen Meilenstein der Mahler-Interpretation.
Trotzdem bricht diese Einspielung mit dem Topos, demzufolge Mahlers volksliedhafte Wendungen die Sehnsucht nach Unwiederbringlichem und introvertierte Selbstverletzungen eines künstlerischen Borderliners seien. Petrenko hält das Bayerische Staatsorchester in einer fast paradox wirkenden erdhaften Leichtigkeit. Übergänge wie der mit substanzreicher Weichheit von den Harfen-Einsätzen in die Streicher-Passagen des ersten Satzes gestaltete Wechsel sind schlichtweg einmalig. In den Nachtmusiken lässt Petrenko aus den kammermusikalischen Stellen und den phänomenal plastischen Raumeffekten ein in alle Richtungen sich ausweitendes Klanggewebe entstehen, als sei die Partitur ein ständig die Farbe und die Stärke änderndes Garn. Tanzbodenrhythmik erscheint im Veredelungsprozess, der von Wirkungskoketterie so weit entfernt ist wie von Kraftfutterrationen für den Klangkörper.
Neben Petrenkos Deutung von Erich Wolfgang Korngolds Toter Stadt auf DVD ist dieser Label-Start das wichtige Dokument eines Musizierens mit neuen Erkenntnissen, welche tradierte Hörerwartungen nicht außer Kraft setzen. Zugleich bestätigt er, dass nahezu jeder Jubelorkan im Münchner Nationaltheater nach Auftritten Petrenkos vollauf berechtigt war – zumal nach Sternstunden wie in Strauss’ Frau ohne Schatten, Wagners Meistersingern von Nürnberg und Tristan und Isolde. Diese Produktionen stehen hoffentlich auf der To-do-Liste des jungen Labels. Alban Bergs Lulu mit Marlis Petersen erschien bereits bei BelAir.