Dmitri Schostakowitsch
Symphonie Nr. 7 „Leningrader“
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Mariss Jansons
Schon der ehemals sowjetische Städtename „Leningrad“ strahlt insbesondere in der jüngeren Generation kaum mehr im Bewusstsein; die Bezeichnung „Leningrader“ für den assoziationsreichen Titel einer großen Symphonie ist dort eher noch weniger verankert. Bereits im Spätsommer 1941 begonnen, kurz vor der Belagerung dieser großen Stadt an der Newa, entstand sie vor dem Hintergrund eines schrecklichen und blutgetränkten Krieges.
Aus heutiger Sicht, fast 80 Jahre später, ist es nicht zu ermessen, wie viel Angst und Hoffnung mit dieser Symphonie für Schostakowitsch selbst verbunden war. Heute wissen wir allerdings, dass der Krieg nur ein Bild war für etwas ganz anderes: Schostakowitsch hatte vor allem die Schrecknisse des Sowjetregimes vor Augen. Zwar wurde das Werk von diesem zu Propagandazwecken missbraucht, „ein Fanal gegen den Faschismus“, so Vera Baur im sehr informativ zu lesenden Booklet, was ihm letztlich sehr geschadet hat; dennoch steht die Siebte allgemein für einen „musikalischen Ausdruck von Gewalt und Bedrohung, eine überzeitliche symphonische Anklage gegen Unrecht, Schreckensherrschaft, und die rücksichtslose Negierung des Individuums“. Der Krieg kam da als Ablenkung vom eigentlichen Inhalt in zynischer Weise gerade recht.
Doch wie steht es mit der Interpretation dieses Werks? Kann ein Dirigent und ein Orchester ihm heute noch gerecht werden? Jede spätere Interpretation scheint einen Schritt weiter weg vom Geschehen. Hört man sich jene in die Jahre gekommene, aber immer noch gültige, bislang unerreichte Referenzaufnahme des Staatlichen Sinfonieorchesters der UdSSR unter der Leitung Jewgenij Swetlanows an, mit ihrem unmittelbareren, sowjetischen Erfahrungshintergrund, so scheint gerade diese eine weitaus stringentere, innere Dynamik von Ausweglosigkeit und Entsetzen zu besitzen, so, als würde man noch den Würgegriff Stalins am Hals spüren.
Die vorliegende Aufnahme indes wirkt statischer, in den Tempi insgesamt langsamer, vorsichtiger – fast zu brav kommt sie daher, leider ohne innere Spannung und merkwürdig kraftlos. Ein (leider nicht immer gut austarierter) Gesamtklang ist nah. Gleichwohl bleibt nur Mittelbarkeit übrig, eine gewisse Distanz gar, wie aus der Sicht eines Spätgeborenen. Und dies trotz vollendeter Aufführung des Orchesters, der wunderbaren Soli in den Holzbläsern, trotz des homogenen Zusammenspiels aller. Die weiteren Sätze klingen ebenso stoisch und aussageschlank.
Um bloß kein übertriebenes Pathos einer platten Szenerie des abschließenden Siegesjubels aufkommen zu lassen, drückt Mariss Jansons in den letzten Takten aufs Tempo zu einem unrunden Schluss. Ohne Hintergrundwissen würde man die Symphonie so nur als laut und chaotisch abhaken, die eigent-liche Intention Schostakowitschs leuchtet musikalisch nur wenig durch. Ihm ging es bekanntlich um Menschlichkeit und humane Geisteshaltung, die – wenn auch nur zeitweise – über das Böse siegt, wenn auch mit ein wenig Pathos.
Werner Bodendorff