Anton Bruckner
Symphonie Nr. 7 in E-Dur
Gürzenich-Orchester Köln, Ltg. François-Xavier Roth
Der 200. Geburtstag von Anton Bruckner wird zwar erst am 4. September 2024 gefeiert, aber schon jetzt wirft das Jubiläum des österreichischen Komponisten lange Schatten. Unter seinem Chefdirigenten François-Xavier Roth hat das Gürzenich-Orchester Köln eine Gesamtaufnahme seiner Symphonien begonnen, deren Einspielungen nach und nach beim Kölner Label Myrios Classics erscheinen. In zwei Jahren soll dann der Zyklus fertig sein. Das im Jahr 1827 gegründete Kölner Traditionsorchester weist eine lange Brucknergeschichte auf, die mit der Kölner Erstaufführung der vierten Symphonie im Jahr 1897 durch Franz Wüllner begann. Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte Gürzenich-Kapellmeister Günter Wand für neue Impulse und international beachtete Einspielungen der 2., 4. und 8. Symphonie.
„Für mich kommt Anton Bruckner mehr von Buxtehude, Bach und Schubert – und nicht so sehr von Richard Wagner“, sagt François-Xavier Roth im persönlichen Gespräch. „Mich interessiert die Modernität an seiner Musik, die durch harmonische Parameter und durch die besondere Struktur erzeugt wird. Die Organisation des Klangs im Raum finde ich spannend und die Transparenz in seiner Musik.“ Nun liegt mit der Einspielung der siebten Symphonie die erste Frucht dieser Arbeit vor, die Appetit macht auf mehr. Schon das Streichertremolo, mit dem der Kopfsatz beginnt, entfaltet eine besondere Atmosphäre, ist nicht nur Klangfläche, sondern besitzt auch Struktur. Insgesamt setzt Roth auf einen vibratoarmen, schlanken, flexiblen Streicherklang, der keinen Weihrauch verbreitet, sondern klare Sicht auf die Architektur lässt. Auch die bei Brucknerinterpretationen beliebten großen Ritardandi vor neuen Themenkomplexen oder formalen Abschnitten sucht man bei dieser Lesart vergebens. Ein durchgehender Puls ist Roth wichtig. Auch rhythmische Genauigkeit ist eines seiner Brucknerprinzipien. Nur in der Coda gehen die Flöten zu früh weiter, sodass für einen Moment die Stabilität gefährdet ist.
Im Scherzo wird die Motorik vom Gürzenich-Orchester geradezu zelebriert. Das Blech kann auch mal zur schärferen Tongebung greifen, sodass die Klangschichtungen im schnellen Teil beängstigend werden. Im Trio findet der Satz zur Schlichtheit. Die Phrasen sind zwar abgerundet, aber verlieren dadurch nichts von ihrer Klangrede, ehe dann mit der Wiederholung des
A-Teils die rhythmische Energie zurückkehrt. Diese ist auch zu spüren im Finale, das mit den gestochen scharfen Doppelpunktierungen in den ersten Violinen beginnt. Dieser Keim enthält schon die ganze rhythmische Energie, die den Satz immer weiterträgt. Nur dem flüssig musizierten Adagio (Vortragsbezeichnung: sehr feierlich und sehr langsam) fehlt es in einigen Momenten an Ruhe. Aber auch hier entdecken Roth und sein homogenes Gürzenich-Orchester Spannendes, wenn sie die Klangkulmination am Ende wie einen Mahler’schen Durchbruch musizieren oder in den Flötensoli Momente der tiefen Einsamkeit spürbar werden. Dieser Bruckner schaut nach vorne.
Georg Rudiger