Gustav Mahler
Symphonie Nr. 6
Berliner Philharmoniker, Ltg. Simon Rattle
Die Symphonien Gustav Mahlers waren schon früh ein Schwerpunkt im Repertoire des Dirigenten Simon Rattle. Schon als Chef des City of Birmingham Symphony Orchestra hat er die meisten von ihnen eingespielt. Eng verbunden ist Mahler aber auch mit Rattles Arbeit am Pult der Berliner Philharmoniker. Die Sechste dirigierte er in seinem ersten Konzert mit den Berlinern in den 1980er Jahren – und mit ihr nahm er im Juni des vergangenen Jahres seinen Abschied in der Philharmonie als Chefdirigent des Orchesters nach 16 Jahren. Mahlers Fünfte erklang in seinem Antrittskonzert 2002 – und im ersten Konzert nach seiner Ernennung 1999 stand die Zehnte auf dem Programm.
Bei ihrem eigenen Label haben die Berliner Philharmoniker nun nur wenige Monate nach dem Abschluss der „Ära Rattle“ just jene erwähnten beiden Konzerte mit der sechsten Symphonie von Mahler als Tondokument vorgelegt, das Abschlusskonzert von 2018 auch im Bild auf einer Blu-ray, die dazu beide Aufnahmen als Pure Audio, eine Filmdokumentation über Rattles Wirken in Berlin und eine spannende Werkeinführung des Dirigenten bringt. Zusammen mit den Texten und Fotos im Booklet ist das eine sehr umfangreiche und hochkarätige Publikation zu Rattles Berliner Jahren.
Mit der Sechsten verbindet Rattle eine lange Geschichte und sie nimmt gewiss in seiner Mahler-Interpretation eine zentrale Stelle ein. Das wird auch in seinen Einführungsworten deutlich. Von Beginn an wählte er die Abfolge der Mittelsätze mit dem Andante an zweiter Stelle (bekanntlich schwankt hier auch Mahlers eigene Haltung zwischen erster Druckfassung und späterer Aufführung). Seine Deutung, die sich zwischen 1987 und 2018 eigentlich im Kern wenig verändert hat und nur vor allem im Finale etwas mehr Zeit einnimmt (deutlich breiter ist er 1989 bei der Aufnahme aus Birmingham), erfüllt das Werk von innen heraus mit gewaltiger Ausdrucksintensität. Rattle bindet all die gewaltigen und kühnen Klangmittel der „tragischen“ a-Moll-Symphonie ein in ein Konzept, das der existenziellen Tiefe der Musik in jedem Takt unbedingt auf der Spur ist. Besonders in der reifen Aufführung im Sommer 2018, die via Kinoübertragung weltweit auch ein Medienereignis war, zeigt sich auf phänomenale Weise, wie Rattle musikalisch-strukturell, geistig und emotional diese Partitur durchdringt, wie er nicht die geringste Übertreibung zulässt und doch keinen Ton unbeachtet und unerfüllt lässt.
Dass an solch einer epochalen Deutung die Berliner Philharmoniker mit ihrer singulären Orchesterkultur einen wesentlichen Anteil haben, versteht sich. Mahler war ja lange Zeit nicht gerade ihr täglich Brot. Mit einigen Symphonien unter Karajan, dann aber intensiv unter Claudio Abbado und Simon Rattle sind sie zu einem der führenden Mahler-Orchester geworden – wenn nicht zu mehr.
Die vorliegende Edition ist mehr als ein Souvenir der Zeit des sechsten Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, sie ist ein substanzieller Beitrag zur Geschichte des Orchesters und der Interpretation der Symphonien Gustav Mahlers.
Karl Georg Berg