Rääts, Jaan / Johannes Brahms

Symphonie Nr. 5 / Klavierkonzert Nr. 2

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Antes BM-CD 31.9204
erschienen in: das Orchester 11/2005 , Seite 95

Will man es sich mit der CD mit dem fröhlichen Booklet-Cover ganz einfach und kurz machen, darf man sagen: Hier bürsten ein erfahrener Hase und ein begabter Newcomer den alten Brahms gegen den Strich und erfinden einen estnischen Zeitgenossen.
Das wichtigste Ergebnis dieser Einspielung mit einer spielwütigen Anhaltischen Philharmonie Dessau ist sicherlich die Entdeckung und Entmottung der 5. Sinfonie von Jaan Rääts. Das im Jahr 1967 (ein Jahr vor der Geburt des Dirigenten) entstandene Werk des 1932 in Tartu Geborenen ist vielleicht vom musikalischen Gehalt her nicht so schwergewichtig wie etwa das Werk seines Landsmanns Arvo Pärt oder seines russischen Generationsgenossen Alfred Schnittke. Rääts’ 5. Sinfonie ist in erster Linie schwungvoll, intelligent, enorm unterhaltsam, und (wenn dies als Qualitätsmerkmal von Musik bestehen darf) sie macht gute Laune.
Golo Berg stellt besonders die rhythmischen Impulse, die ständige Beweglichkeit und Keckheit der Partitur sicher zu Recht in den Vordergrund seiner Interpretation. Seine vitale Motorik entlehnt Rääts generös dem Jazz, ohne Jazzmusik zu komponieren, und verschmilzt diese handwerklich umsichtig mit dem Vokabular einer klassischen Moderne, die an Eisler und Dessau geschult scheint. Man darf sich sicher auf weitere Ausgrabungen freuen. Zudem ist Rääts als ehemals wichtige Persönlichkeit des öffentlichen, sozialistischen Musiklebens Estlands auch biografisch gesehen eine spannende Entdeckung.
Wunderbarerweise erscheint das romantische Klavierkonzert daneben nicht fad oder zu häufig schon gehört. Ähnlich wie Rääts bietet Brahms ja gerade auch auf der dynamischen Seite starke interpretatorische Gestaltungsmöglichkeiten. Wo aber in Rääts’ Musik tänzerische Züge hervorgehoben werden, zeigt Golo Berg bei Brahms’ 2. Klavierkonzert zwar Energie, vermischt diese aber mit einer gewissen brutalen Kraft.
Peter Rösel, Absolvent des Moskauer Tschaikowsky-Konservatoriums, ist ein großer Kenner auf dem Gebiet der Klavierromantik und ein hervorragender Rachmaninow-Interpret. In Zusammenarbeit mit einer sehr anpassungsbereiten Anhaltischen Philharmonie Dessau durchbricht Rösel auf dieser CD traditionelle Hörgewohnheiten. Er eröffnet eine neue Sicht auf den Wiener Meister. Liebliche, romantische Details werden meist nivelliert. Berg agiert souverän mit kräftigen statt zarten Bläsern, mit zügigen Tempi und einer merkwürdigen Schroffheit und gewinnt Brahms damit eine ganz erstaunliche neue Qualität ab.
Katharina Hofmann