Dimitrij Schostakowitsch

Symphonie Nr. 5

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Mariss Jansons

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 02/2021 , Seite 69

Das Booklet schildert Stalins Terrorregime zur Entstehungszeit dieser Sinfonie, skizziert die unsägliche Situation des Komponisten und seine Flucht in verbale sowjetische Phraseologie. Das ist sinnvoll, denn nicht jeder hat die katastrophale Situation in der UDSSR in den 1930er Jahren heute noch klar vor Augen. Auch beschreibt das Booklet in simplen, eindringlichen Worten die Musik und mögliche musikalische Subtexte der Partitur.
Lässt man das Booklet jedoch außen vor und konzentriert sich ausschließlich auf die Musik, begeistern die zügige, schlanke Interpretation, die tollen Soli, der Verzicht auf Effekthascherei und die wunderbar klangvollen leisen Passagen. Der vorliegende Livemitschnitt von 2014 fließt in einem einzigen goldenen Guss aus den Lautsprechern.
Mariss Jansons führt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks elegant und sicher – etwas anderes wäre in dieser Kombination auch unvorstellbar. Gleich der erste Satz lotet alle Tiefen und Schönheiten der Musik voll aus, setzt Tempi und Dynamik makellos ein. Das Marschartige und das Heroische, das diesem Satz eine anscheinend eingängige Oberfläche verleiht, wird nicht laut-hals inszeniert. Fröhlich geht es in den zweiten Satz (Allegretto) – das folkloristisch wirkende Thema kommt kraftvoll daher, man möchte fast im Dirndl dazu tanzen, aber auch die dunklen Schatten der Tutti-Passagen werden sauber herausgearbeitet. Die Stimmung ist musikalisch ambivalent. Dunkel fließt das Largo. Sanft lässt Jansons die Holzbläser und Streicher vorandrängen, sauber bis in die letzte Tonendung. Ruhe vor dem Sturm des Schlusssatzes sozusagen, an sich in Sinfonien nicht unüblich, aber durch das lange Crescendo (gekrönt von einer eleganten Pauke) und die Harmonik kommt keine echte Entspannung auf. Jansons lässt nicht locker, gebannt lauscht man den leisesten Tönen der Streicher hinterher und genießt dann den brillanten Klang der Oboe im mehr erzählenden als klagendem Solo.
Die Pauke lässt keinen Zweifel daran, dass sowohl Schostakowitsch als auch Jansons den vierten und letzten Satz von Beginn an als kraftvollen Finalsatz sehen. Flottes Tempo, deutliche Artikulationen und blitzendes Blech strahlen über gewollt unruhigen Abgründen. Immer wieder übernehmen die Schlagzeuger, die Streicher setzen energischen Wohlklang dagegen. Dann singt das Horn seine Kantilene über den Streichern, die gar nicht auf Ruhe aus sind. Jansons arbeitet dies deutlich heraus, zieht den emotional hoch geladenen Karren durch Crescendi und aus tiefsten Lagen heraus. Entspannung zur Harfe kommt trügerisch daher, ein makaber angelegter Marsch folgt. Man meint, ein Schafott als Ziel zu wissen, doch Jansons hält die Spannung, die Blechbläser zelebrieren ihre Partien, das Holz hält mit und die Streicher kommen als zielstrebige Kolonne daher. Die pathetisch zelebrierte Auflösung in den letzten Minuten ist willkommen, die Pauke legt noch einmal kräftig nach. Jansons und das BR-Symphonieorchester haben eine tolle Liveaufnahme eingespielt, der begeisterte Applaus am Ende ist mehr als verdient.
Heike Eickhoff