Bruckner, Anton
Symphonie Nr. 4 Es-Dur Romantische
Staatskapelle Dresden, Ltg. Christian Thielemann
Wer die Opern Richard Wagners so aussagekräftig dirigiert, kann auch die Symphonien Anton Bruckners ebenso vital und farbig zu Gehör bringen. Insbesondere das Blech hat bekanntlich bei beiden Komponisten zeitweise vornehmen Vorrang vor den übrigen Instrumenten, womit sich Liebhaber edler und sahniger Messingklänge wirklich freuen dürfen.
Christian Thielemann versteht es wirklich, diese kathedralen Breitband-Klangfarben nicht nur in den zahlreichen Blechblöcken zum Glühen zu bringen, ohne indes allzu massiv oder gar pathetisch zu wirken. Selbst bei den Fortissimo-Stellen mit dem übrigen Orchester wirken die festlichen Trompeten, Posaunen und Hörner nie brutal, sondern wie eine goldene Schale eines Brunnens, worin die Sechzehntel der Streicher sich perlend durchmischen. Die Holzbläser verleihen der Symphonie zusätzlich lodernde Schwerelosigkeit und würdige Noblesse.
Der spezielle Staatskapellenklang und die langjährige BrucknerPflege des Orchesters unter Fritz Busch, Karl Böhm und Joseph Keilberth kommt dem Ganzen wie selbstverständlich entgegen. Immerhin ist nach dem liebevoll wie kenntnisreich verfassten Booklet die 4. Symphonie schon damals, zu Lebzeiten Bruckners, 1895 unter Adolf Hagen aufgeführt worden, wenn auch mit Blick auf die etwas unwirsche Kritik noch eher unter einem unglücklichen Stern. Inzwischen ist insbesondere die Romantische zum Inbegriff Brucknerscher Tonkunst geworden.
Christian Thielemann wählte für diese CD-Einspielung der Vierten WAB 104 die populäre Fassung von 1878/80, die selbe, die bereits am 17. Mai 2015 im 9. Symphoniekonzert erklungen war. Die Einspielung reiht sich nahtlos ein in die Serie der teils schon länger erhältlichen Aufnahmen beispielsweise der Siebten und der Achten.
Die Tempi sind gemessen an die teils vorwärtsdrängenden Interpretationen beispielsweise von Eugen Jochum, Herbert von Karajan oder gar Günter Wand zum Teil wesentlich langsamer, die Klänge werden hier bis zuletzt ausgekostet; deshalb wohl auch die ungeheuere klangliche Tiefenwirkung und scheinbar zeitliche Schwerelosigkeit. Thielemanns Interpretation liegt bei 73 Minuten, im Gegensatz zu Jochum, der schon nach etwa 64 Minuten seinen wohlverdienten Applaus entgegennehmen konnte.
Gleichzeitig fragt man sich indes, wie viel Entgrenzung Bruckner wohl noch verträgt. Wie lange lassen sich die Symphonien in die Länge ziehen, ohne dass die Spannungsbögen reißen? Sergiu Celibidache war einer der Vorreiter und hatte die Vierte 1983 in München auf etwa 78 Minuten gedehnt. Spätere Symphonien wie beispielsweise die Achte kommen mittlerweile schon auf weit über 90 Minuten. Diese Breitflächigkeit gibt es auch in manchen Filmmusiken, hier selbstverständlich mit viel mehr untergründiger Tiefe: ein Mittel gegen die Kurzatmigkeit unserer Zeit?
Die Aufnahme von Thielemann, der hier nicht nur zu dirigieren scheint, sondern Bruckners Musik lebt und erleben lässt und der sich deshalb von den Vortragsbezeichnungen unabhängig macht, ist solch ein Gegenmittel.
Werner Bodendorff