Brahms, Johannes
Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98
hg. von Robert Pascall, Urtext der neuen Brahms-Gesamtausgabe, Partitur/Streicher/Harmoniestimmen
Mit der 4. Sinfonie sind jetzt alle Sinfonien von Johannes Brahms in der Urtext-Fassung in der Partitur-Bibliothek von Breitkopf & Härtel erschienen. Die wissenschaftliche Basis ist die Urtextausgabe der im Henle- Verlag erschienenen Gesamtausgabe Johannes Brahms Neue Ausgabe sämtlicher Werke. Verantwortlicher Herausgeber der Sinfoniebände und zugleich stellvertretender Vorsitzender der Gesamtausgabe ist der renommierte englische Musikologe und Brahms-Forscher Robert Pascall.
Die Hauptquelle des Urtexts ist der Erstdruck der Partitur, die 1886 im Verlag N. Simrock, Berlin, ein Jahr nach der Komposition, erschienen ist. Brahms hatte nach der Fertigstellung der Partitur im Sommer 1885 in Mürzzuschlag erst nach Orchesterproben in Meiningen und der dortigen Uraufführung sowie nach weiteren Aufführungen die Bedenken gegenüber seinem eigenen Werk zerstreut und es zum Druck freigegeben. Da Brahms ein recht akribischer Notenschreiber und Korrektor seiner Druckvorlagen war, gibt es nur wenige und kaum signifikante Textprobleme. Die editorischen Entscheidungen gehen in diesen Fällen mehrheitlich auf die autografe Partitur zurück, die zahlreiche Korrekturen von der Hand des Komponisten enthält. In der Erstausgabe der Orchesterstimmen, die in der Bibliothek der Hofkapelle in Meiningen liegen, machte Brahms einige aufführungspraktische Zusätze, die er aber nicht in der Partitur vermerkt haben wollte. Diesem Wunsch kommt auch die Neuausgabe entgegen, deren Orchesterstimmen dementsprechend die Anmerkungen übernehmen. Hinweise als Fußnote in der Partitur wären allerdings wünschenswert gewesen.
Einige interessante Aspekte sind Änderungen, die Brahms selbst an der Komposition vorgenommen hat. So werden die vier Einleitungstakte zum ersten Satz mitgeteilt, die er nachträglich hinzufügte, dann aber wieder verworfen hat: Sie beginnen mit einem gehaltenen Bläserakkord auf der Subdominante, der dann im Decrescendo zur Tonika wechselt, bevor dann das Hauptthema auftaktig einsetzt. An anderer Stelle ergänzt Brahms später noch den ursprünglichen Orchestersatz durch Streicherstimmen. Welche Unterschiede der Komponist in der Tempovorstellung von Allegro non assai, der ursprünglichen Angabe, zu Allegro non troppo, der Druckfassung, empfindet, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Lesenswert ist das Vorwort, in dem Robert Pascall die Entstehungsgeschichte und die frühe Rezeptionsgeschichte der Sinfonie mit vielen Zitaten von frühen Kritiken sehr anschaulich dargestellt hat. Der Notensatz der Partitur ist bis auf mehrere Seiten mit sehr eng gesetzten Akkoladen, die auch nicht durch die üblichen Schrägstriche getrennt werden, gut lesbar.
Heribert Haase